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Mit Günter Grass an der Druckmaschine

Neue Gesamtausgabe erscheint 2007 - Lehrstunden bei Andy Warhol und Josef Beuys

Von Wolfgang Braun
Göttingen (WB). Von Qualität besessen - das ist die Triebfeder des Göttinger Druckers und Günter-Grass-Verlegers Gerhard Steidl (54). Das renommierte Kunstmagazin ArtReview hat ihn jetzt auf die Liste der 100 maßgeblichsten Persönlichkeiten im Weltkunstbetrieb gesetzt. Er ist dort der einzige Verleger.

Die kommentierte Gesamtausgabe des Werkes des Nobelpreisträgers Günter Grass, die zu dessen 80. Geburtstag im Jahr 2007 erscheinen wird, ist nur eines der vielen Projekte, auf das sich der Verlag mit 30 Mitarbeitern konzentriert. Mit dem isländischen Autor Halldór Laxness (1902-1998), dessen Gesamtwerk in einer Taschenbuchausgabe erscheint, hat Steidl gleich einen weiteren Nobelpreisträger im Programm.
Steidl, dessen Vorbild als literarischer Verleger der legendäre Heinrich Maria Ledig-Rowohlt (1908-1992) ist, der sich sehr intensiv um seine Autoren kümmerte, begann seine Erfolgsgeschichte als Drucker.
Als er 1968 in einem Hinterhof in Göttingen als 18-Jähriger eine Druckerei einrichtete, hatte er gerade mal das Abi in der Tasche, aber eine schon sechsjährige Erfahrung als »Unternehmer« hinter sich. Denn schon mit 12 - »Meine Schwester hatte mir einen Fotoapparat geschenkt«, suchte er nach einem »Geschäftsmodell«, weil er Geld verdienen musste. Er fotografierte auf Hochzeiten und Geburtstagsparties, jedoch keine Einzelbilder, sondern gleich ganze Serien, die sich gut verkauften. Aber: »Das Spannendste war für mich nicht das Fotografieren, sondern die Arbeit im Fotolabor, um dem latenten Bild Gestalt zu geben«. Bald schon produzierte er Plakate mit Szenenfotos für Inszenierungen des Jungen Theaters in Göttingen oder für den Göttinger Filmverleih Filmkunst Walter Kirchner. Und er fing an, sie selbst zu drucken, weil er den Druckern misstraute: »Sie realisierten meine Ideen nicht so, wie ich mir das vorstellte.« So kamen schwarz gedachte Flächen in einem merkwürdigen Grau.
Bis er erste im Siebdruckverfahren entstandene Bilder des Pop-Art-Papstes Andy Warhol sah: Kräftig leuchtende Farben, sattes Schwarz. Das faszinierte ihn. Zufällig war Warhol zu einer Ausstellung in Köln. Steidl trampte an den Rhein, suchte Kontakt zur Kultfigur der Pop-Art und löcherte ihn mit seinen Fragen: »Was ist Siebdruck?«, »Wie macht man dies, wie macht man das?« Mit Erfolg: »Andy Warhol hat mir eine Skizze gezeichnet, hat mir die Grundlagen erklärt. Danach war ich selbst im Prinzip in der Lage, Siebdrucke anzufertigen.« Aber das war erst der Anfang: »Ich habe sehr hart gearbeitet, um mir alle Kniffe anzueignen. Mein Zugang zu vielen Künstlern, für die ich arbeitete, kam sicherlich dadurch zustande, dass ich einfach der beste Siebdrucker in Deutschland war«, ist sich Steidl sicher.
Die wichtigste Persönlichkeit in seiner handwerklichen und wenn man so will künstlerischen Entwicklung aber war Joseph Beuys (1921 - 1986). Der Grafiker und politische Plakatkünstler Klaus Staeck hatte an der Kunstakademie Düsseldorf den Kontakt zu Beuys vermittelt.
Es entstand eine Arbeitsfreundschaft - wie später die mit Günter Grass. Steidl, der nie studiert oder auch nur eine Lehre durchlaufen hatte, betrachtete den Plastiker, Zeichner und Aktionskünstler Beuys als seinen »Privatprofessor«, den er auch mit den dümmsten Fragen löchern konnte. Rückblickend weiß er: »Meine ganze Farben- und Materialästhetik, die auch meinen Büchern zugrunde liegt, geht auf Josef Beuys und auf die intensive Zusammenarbeit mit ihm zurück. Der Fundus, den er begründet hat, ist auch heute nicht erschöpft«.
Über Staeck und dessen Freund Willy Brandt kamen auch die ersten Kontakte zu Günter Grass zustande, der den späteren Friedensnobelpreisträger im Wahlkampf unterstützte. Weil Steidl sich umfassender über das grafische Werk des vielen nur als Autor der »Blechtrommel« bekannten vielseitigen Künstlers informieren wollte, schrieb er ihm 1986. Doch der antwortete, sein Verlag, der Luchterhand-Verlag, sehe sich außerstande, seine Grafiken und Zeichnungen zu publizieren. Das ließ sich Steidl, der seine Chance witterte, nicht zweimal sagen und bereitete Andrucke von Grass-Grafiken mit verschiedenen Papiersorten und Einbandmaterialien vor. Grass war ganz perplex, weil er - obwohl er das Büchermachen liebte - noch nie eine Chance bekommen hatte, bei der Gestaltung seiner Werke mitzureden. Die nutzte er in seiner Zusammenarbeit mit Gerhard Steidl - dessen Verlag die Weltrechte an seinem Werk seit 1993 hält - weidlich. Sogar beim Andruck seiner Bücher ist er dabei und verständigt sich mit dem Drucker über die richtige Farbsättigung der Schrift. »Eine beglückende Erfahrung, einem Verleger verbunden zu sein, der zugleich leidenschaftlicher Drucker ist«, schreibt Günter Grass.
Mit dem Modedesigner und Fotografen Karl Lagerfeld hat Gerhard Steidl mittlerweile etwa 15 Bücher gemacht. Wie zuvor Günter Grass hatte er auch ihn davon überzeugt, dass er sich als »Verbündeter des Künstlers« versteht, »beim Zaubern zu helfen, die künstlerischen Träume und Ideen aufs Papier und zu den Lesern zu bringen.«
Doch Lagerfeld ist nur einer der vielen prominenten Lichtbildner, deren Bücher im Göttinger Steidl-Verlag verlegt und gedruckt werden. Dessen Verlagsprogramm liest sich mit Namen wie Robert Frank, Péter Nadas, Gerard Malanga, Jürgen Teller, Massimo Vitali oder Robert Polidori wie das Who is Who der modernen Fotografie. Steidl druckt im Auftrag von Firmen wie Chanel, für internationale Galerien und Museen sowie für weltbekannte Verlage wie Scalo oder Schirmer & Moser.
Wie konnte ein Verleger, der als Jugendlicher in einer Hinterhofdruckerei begann, sich diesen weltweit anerkannten Rang erarbeiten ?
Gerhard Steidl nennt es die ganzheitliche Betreuung einer Bücheridee, die ihn zu einem derzeit angesagtesten Fachverlag für hochwertige Fotobücher in einem ansprechenden und der Intention der Bildbände angemessenen, zumeist ungewöhnlichen Design machte. Am liebsten sei ihm, »wenn der Künstler mit einem Stapel Fotos in der Hand« angereist komme. »Wir setzen uns in unserer Bibliothek zusammen und entwickeln eine Idee.« Und weil die gesamte Technik in dem Verlagstrakt an der Düsteren Straße in der Göttinger Innenstadt vorhanden ist - angefangen von der Typografie über die Bildverarbeitung, über das Scannen, Retuschieren, das Buchdesign bis hin zur Formenherstellung und zum Druck -Ê stehe eine lückenlose Kette zur Verfügung, die bei der Umsetzung der Idee in höchster Qualität und Präzision helfe. Und es gibt keinen dieser Schritte, die Steidl, der in seinem weißen Kittel rastlos in einem nicht selten 18-stündigen Arbeitstag im Haus unterwegs ist, nicht selbst überwacht.

Artikel vom 09.02.2005