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Kampf gegen Übergewicht

Bewegung
ist auch
Bildung


Von Andreas Schnadwinkel
Mit seinem vermeintlich ironischen Lied »Dicke« beleidigte Marius Müller-Westernhagen 1978 übergewichtige Menschen. Natürlich sorgte der provokante Text für Aufsehen und entsprechende Reaktionen - vor 27 Jahren. Heute regt sich niemand mehr auf, wenn eine TV-Reportage über Dicke mit diesem passenden Song unterlegt ist. Und die Zeilen klingen aktueller denn je, weil sie ein Problem ansprechen, für das sogar die Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Begriffe wie »Seuche« und »Epidemie« benutzen: Fettleibigkeit. Wird der Alltag immer bewegungsärmer und bequemer, steigt das Körpergewicht an - wenn man die Kalorienzufuhr nicht senkt. Eine ganz simple Rechnung.
In einer Untersuchung hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) festgestellt, dass etwa 65 Prozent der Männer und 55 Prozent der Frauen in Deutschland übergewichtig sind. Der Grund: Es wird viel mehr gegessen als der Körper benötigt. Damit erhöht sich das Risiko, an Diabetes und Herz-Kreislauf-Störungen zu erkranken. Nach Schätzungen der AOK sorgt dieses Ernährungsfehlverhalten für Kosten von mindesten 75 Milliarden Euro -Êmit steigender Tendenz.
Fettleibigkeit und ihre Folgen betreffen nicht nur Deutschland. In Europa nimmt die Zahl dicker Kinder zu. Vor diesem Hintergrund sagt Markos Kyprianou der Epidemie den Kampf an. Der neue EU-Kommissar für Verbraucherschutz hat eine Kampagne angekündigt, die ein Werbeverbot für »Fast Food« nicht ausschließt. »Übergewicht ist schon längst kein reines Problem der Amerikaner mehr«, wird Kyprianou zitiert.
Womit wir bei einer Nachricht wären, die scheinbar im Widerspruch zum kritisierten Essverhalten steht. »Viele Burger sind besser als ihr Ruf. Der Cheeseburger von McDonalds ist bei den Nährwerten pro Portion gut«, so das Fazit der Stiftung Warentest. Sind Hamburger also gar keine der Ursachen für Fettleibigkeit? Ja und nein.
Wer ab und zu einen (!) der Testsieger isst, schadet seinem Körper nicht. Anders sieht es bei regelmäßigem Verzehr gleich mehrerer Burger aus. Wenn oft ein Maxi-Menü samt zuckerhaltiger Limonade und fettigen Pommes auf den Tisch kommt, sieht man bald selbst ziemlich maxi aus. Das Problem sind nicht die Burger, sondern die Beilagen und die Mengen. Da Kinder und Jugendliche besonders gefährdet sind, falsch zu essen, setzen die Vorschläge bei ihnen an. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein übergewichtiger 13-Jähriger zu einem dicken Erwachsenen reift, liegt bei 70 Prozent. Nicht gerade vorbildhaftes Essverhalten der Eltern, sozialer Druck in der Gruppe, seelischer Frust während der Pubertät, wenig Halt in der Familie - Gründe für den Hang zu einem Übermaß an Fett und Zucker gibt es viele.
Wie bei solchen gesamtgesellschaftlichen Problemen üblich, sollen die Schulen helfen. Und das tun sie auch - wenn auch noch nicht flächendeckend. Im Rahmen eines landesweiten Projekts steht bei 15 Grundschulen in NRW (davon drei in Ostwestfalen) in den ersten Klassen täglich Sportunterricht auf dem Stundenplan. Und das mit Erfolg, denn die Kinder wirken nach der Bewegung ruhiger und konzentrierter und profitieren davon in den anderen Fächern.
Das Ergebnis des Modellversuchs ist eindeutig und darf nicht mit dem Totschlagargument »Die öffentlichen Kassen sind leer« wegdiskutiert werden. Vielmehr muss man das Problem des übergewichtigen Nachwuchses im Zusammenhang mit PISA sehen. Denn: Bewegung ist auch Bildung - und umgekehrt.

Artikel vom 11.02.2005