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Leitartikel
Still ruht der Arbeitsmarkt

Die ganze Wahrheit in einer Zahl


Von Reinhard Brockmann
»Die Arbeitslosigkeit ist nicht größer geworden, aber sie wird jetzt umfassend abgebildet.«

Frank-Jürgen Weise, Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit, gab sich gestern redlich Mühe, den zweifelhaften Nachkriegs-Rekord der offiziellen Arbeitslosenzahl in wohlgesetzte Wort zu fassen. Auch Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement trat die Flucht nach vorn an, indem er schneller als die Opposition erklärte, jetzt komme die ganze Wahrheit ans Licht und in Wirklichkeit hätten 6,5 Millionen Menschen »Probleme mit dem Arbeitsmarkt«, sprich: keine Arbeit.
Wäre damit also alles gesagt? Im Gegenteil: Die Änderungen in der Statistik gelten als Ausweis für das Bemühen der Regierung, Deutschlands Kernproblem zu lösen. Jede noch so kleine Reform, jedes Ringen um Besserung spricht zunächst für und nicht gegen die Verantwortlichen.
Auch ist ein Vergleich mit den Arbeitslosen-Heeren in Weimarer Zeiten (mit allen Folgeerscheinungen) fehl am Platze. Wer damals auf der Straße stand, der war oft Alleinernährer einer großen Familie und finanziell absolut schlechter dran als jeder der 6,5 Millionen Arbeitssuchenden heute.
Offiziell fünf Millionen Arbeitslose - aber die Zahl soll tagespolitisch ohne Wert, zeitgeschichtlich weniger dramatisch sein?
Gerade weil sie unpolitisch ist, muss uns die Fünf vor dem Komma veranlassen, mehr zu tun und entschiedener zu handeln.
Nicht reden, sondern machen. Dieser Hinweis führt direkt ins Kanzleramt: Chefsache Schröder.
Vor noch gar nicht langer Zeit hat der Kanzler noch von der Halbierung der Arbeitslosenzahl gesprochen. Selbst Helmut Kohls schlechtes Beispiel, der 1996 Ähnliches von sich gab, konnte Schröder 2003 nicht bremsen.
Die Rezepte liegen auf dem Tisch: ein gerechteres Steuersystem, Lohnnebenkosten runter, weniger Verwaltung, mehr Behördenhandeln, bessere Bildung und Forschung, Freiräume für Unternehmen und weg mit den politischen Energiepreisen!
Die Auflistung ist bekannt, Gegenargumente sind widerlegt. Aber Schröder schafft es nicht, die Bedenken, nachdem sie wohl gewogen worden sind, dem großen Ziel der Schaffung neuer Arbeitsplätze unterzuordnen. Die Lobby der Bremser und Bedenkenträger reicht bis in die SPD-Fraktion. Mit den Grünen sitzen starke Kräfte im Kabinett, die den Menschen strikt der Ökologie unterordnen.
Bloß nicht weiter so. Zwar kann man der Union »Blockade« vorwerfen und das nie zu gewinnende globale Rennen um Standortvorteile zur Wurzel allen Übels erklären. Aber mit der Weitergabe des Schwarzen Peters ist es nicht mehr getan. Schröder und Clement handeln nicht. Sie haben das Regieren eingestellt. Das ist und bleibt das Problem.
Fazit frei nach Frank-Jürgen Weise: »Das Regierungshandeln ist nicht anders geworden, aber es wird angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen umfassend abgebildet.«

Artikel vom 03.02.2005