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Nur Vorsorge spart wirklich Kosten

Prof. Lauterbach und Ministerin Fischer beim Zukunftsforum in Bielefeld

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Nur mit erheblicher Vorsorge und neuer Solidarität lässt sich »Soziale Gerechtigkeit in einer Gesellschaft des langen Lebens« sicherstellen.
Über »Soziale Gerechtigkeit in einer Gesellschaft des langen Lebens« sprachen Karl W. Lauterbach und Ministerin Birgit Fischer. Foto: Borgmeier
Unter diesem Motto fand das Zukunftsforum der Friedrich Ebert-Stiftung gestern Abend in der Bielefelder Stadthalle eine eindeutige Antwort auf die vielfach diskutierte demografische Herausforderung. Erfrischend anders, fast verblüffend nahm sich Prof. Karl W. Lauterbach der vermeintlich hoffnungslos überlasteten Sozialsysteme an. Das Gegenteil sei der Fall, irritierte der Regierungsberater sein Publikum: Weil seit den 70er Jahren zehn Millionen Kinder weniger als erwartet geboren wurden, wegen des Weltkriegs nicht so viele Neurentner hinzukämen und die Baby-Boomer meist gesund ihre besten Einkommen erzielten, bestehe an sich kein Grund zur Sorge.
Dazu sei allerdings in zehn Jahren Anlass, wenn sich alle diese Kostenvorteile ins Gegenteil verkehrten, dämpfte Lauterbach sofort die spürbare Erleichterung im Saal. »Dann ist alles weg. Die Probleme beginnen 2012 ganz massiv.«
Weil die soziale Belastung unter den an sich guten Bedingungen heute schon bis zum Anschlag ausgereizt seien, fehle dann der Spielraum. »Das ist so, als wenn sie einen 8000er besteigen wollen und im Basislager wird die Luft schon knapp.«
Die alternde Gesellschaft koste ein Drittel Wachstum und mehr Steuern seien auch nicht zu erwarten, warnte der Professor. Sein guter Rat: Massiv in die Vorbeugung gegen chronische Krankheiten investieren. Nicht die Behandlung, sondern die Vermeidung der fünf häufigsten Erkrankungen erspare Kosten. Wer einem 50-Jährigen das Rauchen abgewöhne, erspare dem Sozialsystem gleich mehrere Kostenarten. Bedingung: Eine Qualitätsoffensive in Sachen Gesundheit statt des Feilschens um Zehntelpunkte bei der Krankenversicherung.Lauterbach: »Entweder die Stärksten beteiligen sich am Solidarsystem oder es kommt die Zwei-Klassen-Medizin unter dem Deckmantel der Eigenverantwortung.«
Damit war die Vorgabe geliefert für Chancen, die NRW-Sozialministerin Birgit Fischer mit dem Heranreifen einer neuen Generation nach dem Erwerbsleben sieht. Vitale Alte, die gemeinsam statt einsam bürgerschaftlich am Gemeinwesen teilnähmen, wären eine Bereicherung für die insgesamt alternde Gesellschaft, sagte sie. »Die neue dritte Lebensphase ist ein riesengroßer Gewinn, man muss ihn nur nutzen.«
Das 20 Jahre schneller als andere Länder alternde NRW, berichtete die Ministerin, arbeite bereits an einem später exportfähigen Modell der Senioren-Wirtschaft.

Artikel vom 02.02.2005