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Gerechte Beurteilung der Geschichte gefordert

Nach dem »Friedensvertrag zu Versailles«: Warnung vor einseitiger Schuldzuweisung


Zu der Nachricht, »NPD verweigert Gedenkminute«:

Der Alterspräsident des sächsischen Landtages, Cornelius Weiss, versuchte die NPD-Fraktion darauf hinzuweisen, dass, bevor Dresden gegen Kriegsende sehr stark zerstört wurde, im Namen des deutschen Volkes viel Ungeheuerlichkeiten zur Zeit der Naziherrschaft begangen wurden.
Ich möchte noch etwas weiter in die (Vor-)Geschichte zurückgreifen: Was geschah, bevor der Reichspräsident von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte? Darüber sind schon viele Bücher geschrieben worden - ich möchte hier nur an einige Vorgänge aus den Jahren 1918 und 1919 erinnern:
In einem abgestellten Eisenbahnwagen im Walde von Compiègne/Oise unterzeichnet die deutsche Delegation um 6 Uhr früh nach dreitägigen ergebnislosen Verhandlungen die Waffenstillstandsbedingungen der Alliierten, in denen von US-Präsident Wilsons »Vierzehn Punkten« nicht mehr die Rede ist. Um 12 Uhr mittags werden die Feindseligkeiten deutscherseits eingestellt. Die Blockade, die Deutschland von der Lebensmittelzufuhr abschneidet, bleibt bestehen, und deutsche Schiffe dürfen weiterhin gekapert werden.
Nur leider stand in dem von den Siegermächten ausgearbeiteten Friedensvertrag, der der deutschen Delegation am 7. Mai 1919 vorgelegt wurde, nichts mehr von Selbstbestimmung im Wilsonschen Sinne. Die deutsche Delegation hatte den Vertrag zur Kenntnis zu nehmen und zu unterschreiben. Der deutsche Außenminister Ulrich Graf Brockdorf-Rantzau, schloss seine halbstündige Rede mit folgenden Worten: »Verbrechen im Kriege mögen nicht zu entschuldigen sein, aber sie geschehen im Ringen um den Sieg, in der Sorge um das Dasein der Nation, in einer Leidenschaft, die das Gewissen der Völker abstumpft. Die Hunderttausende aber, die nach dem Kriege an der Blockade zugrunde gingen, wurden mit kalter Überlegung getötet, nachdem der Sieg errungen und verbürgt war. Daran denken Sie, wenn Sie von Schuld und Sühne sprechen. . . «
Die deutsche Unterschrift zu diesem Diktat wurde unter dem Eindruck der über Deutschland verhängten Blockade geleistet. Der damalige Leiter des amerikanischen Hilfswerks für Belgien und Frankreich, Herbert Hoover, brachte in einem Schreiben an den amerikanischen Präsidenten, als er von der Verlängerung der Blockade erfuhr, folgendes zum Ausdruck: »Ich bezweifle ganz ernsthaft, dass die Welt, wenn sie ihr moralisches Gleichgewicht wiedererlangt hat, einen Frieden, der durch solche Mittel wie das Aushungern von Frauen und Kindern erreicht wurde, als verbindlich für das deutsche Volk betrachten wird. . . «
Obwohl sich auch der amerikanische Präsident über diese Maßnahme verärgert zeigte, wurde die Blockade aufrecht erhalten, und am 28. Juni 1919 unterschrieb eine neu zusammengestellte deutsche Delegation den »Friedensvertrag zu Versailles«. Erst zwei Wochen später, am 12. Juli 1919, wurde die Blockade aufgehoben.
Ich glaube, auch diese geschichtlichen Fakten müssten beachtet werden, ehe man alle spätere schwere Schuld allein den Nazis zurechnet. Wie im privaten Leben sollte man die Dinge redlicherweise von mehreren Seiten betrachten - anders kann man nicht zu einer gerechten Beurteilung kommen.
GEORG BANSZERUS37671 Höxter

Artikel vom 03.03.2005