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Leitartikel
Köhler in der Knesset

Darf man
dort Deutsch
sprechen?


Von Oliver Kreth
»Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Sein Auge ist blau, er trifft dich mit bleierner Kugel, er trifft dich genau. Er hetzt seine Rüden auf uns, er schenkt uns ein Grab in der Luft. Er spielt mit den Schlangen und träumet. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.«
Ein Auszug aus der »Todesfuge«. Jenem Meisterwerk Paul Celans, einem Juden aus der Bukowina, der mit diesem auf deutsch verfassten Gedicht 1948 eine Diskussion über die Unvereinbarkeit des Grauens von Auschwitz mit der Ästhetik der Lyrik hervorrief.
Derzeit werden an der Ben-Gurion-Universität von Beer-Sheva Schautafeln präsentiert, die Celan würdigen. Darauf werden seine Lebensstationen auf Englisch und Deutsch beschrieben. Keiner der Studenten nimmt Anstoß daran.
Schließlich ist die moderne geistige Welt geprägt von deutschsprachigen Juden. Albert Einstein, der erster Präsident des Staates Israel werden sollte, Sigmund Freud, Karl Marx, Franz Kafka, Gustv Mahler und Arnold Schönberg - sie haben Physik, Psychologie, Soziologie, Literatur und Musik nachhaltig beeinflusst.
Theodor Herzl wollte Deutsch sogar zur Amtssprache in der neuen Heimat machen. Auch wenn man heute den Begründer der zionistischen Bewegung in Israel feiert, wird immer noch aus seinem Roman »Altneuland«, in dem Herzl 1902 die Vision des künftigen jüdischen Staates skizzierte, auf Deutsch zitiert: »Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen.« Das steht so auch auf seinem Grab auf dem Herzl-Berg, einen kurzen Spaziergang oberhalb des Shoa-Museums von Jad Vashem.
Doch nicht nur vor 1945 (Kafka, Heine, Döblin, Schnitzler) beeinflussten Juden die deutsche Sprache mit ihren Werken maßgeblich. Nach dem Ende der Shoa spielten Celan, Weiss, Adorno und Horkheimer eine außerordentliche Rolle in Literatur und Philosophie.
Die Proteste weniger Vertreter der Shinui-Partei gegen eine deutsche Rede in der Knesset erinnern an die gegen Richard Wagner, einen der aggressivsten Antisemiten in der Kultur. Aber selbst dessen Werke wurden immer wieder von jüdischen Dirgigenten aufgeführt: von Hermann Levi bis zu James Levine.
Unterstützung erhielt Bundespräsident Horst Köhler übrigens von Reuven Rivlin, dem israelischen Parlamentspräsidenten, einem Ariel Sharon-Freund mit ausgeprägtem Sinn für politische Ausgewogenheit. Selbstverständlich dürfe ein Gast seinen Vortrag in seiner Muttersprache halten.
Junge Israelis kümmern sich überhaupt nicht mehr um derartige Fragen. Und das ist erfreulich. Genauso erfreulich wäre es, wenn der deutsche Bundespräsident seine Rede in der Knesset heute auf Englisch halten würde, um dieser Minderheit das »Wasser« zu entziehen. Denn dafür ist die Pflanze deutsch-jüdisch-israelischer Versöhnung immer noch zu zart. Und noch ein Argument zum Ablassen der Sprachstreit-Blase: Hebräisch hat viele Worte aus dem Deutschen integriert - Plattfuß ist eines davon.

Artikel vom 02.02.2005