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Er kenne sich auch in den italienischen Schulen des siebzehnten Jahrhunderts aus und sei in der Lage, ein qualitätvolles Werk nach Bologna, Rom oder Neapel zuzuordnen.
»Würden Sie sich zutrauen, nur anhand von Fotos die Qualität zu bestimmen? Ich meine die Entscheidung, ob es sich um das Original eines Meisters oder nur um eine Nachahmung handelt?«
»Ohne Original, Madame, ist es äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Wo befindet sich denn das Gemälde?«
»Es liegt in einem Zolllager, in dem ich aber bis jetzt noch nicht gewesen bin. Sie verstehen, ich brauche erst eine zuverlässige Meinung.«
»Ich bin sicher, die werden Sie bekommen können.«
»Können Sie mir denn gar nichts anhand der Fotos sagen?«
»Verstehen Sie bitte, Madame, es hängt wirklich von der Qualität der Fotos ab. Umgekehrt: Würden Sie es auch akzeptieren, wenn ich Ihnen eine negative Auskunft gebe?«
»Dazu wird es hoffentlich nicht kommen. Aber wenn Sie schwerwiegende Argumente für einen solchen Schluss haben, sollte ich diese wissen, Mister Munro.«
Duncan war erleichtert und gleichzeitig amüsiert, wie streng sie das ÝMister MunroÜ aussprach! »Können Sie mir Kopien von dem gesamten Material per Post zusenden?«
»Das ist mir zu riskant. Ich möchte nicht, dass etwas davon in falsche Hände gelangt.«
»Mhm, verstehe É Was schlagen Sie vor?«
»Am besten ist, Sie kommen nach Italien.«
»Nach Italien?«
»Selbstverständlich bezahle ich Ihnen Reisekosten, Spesen und ein Arbeitshonorar. Bitte sagen Sie mir Ihre Vorstellungen. Aber ich kann Ihnen keine Beteiligung am Bild einräumen und kein Exklusivrecht, es zu verkaufen É«
»Wer stellt denn solche Forderungen?«
»Sehr viele, die sich auf die Reise zu mir machen wollten. Obwohl sie mir versicherten, dass mein Bild keine Chance auf dem Markt hätte.«
»Ich wünsche Ihnen sehr, dass es eine Chance hat É« Duncan war erstaunt über sich selbst und blickte zu Delia, die ihn verwundert ansah.
»Ist sie nett?«, flüsterte Delia dazwischen.
Duncan überhörte ihre Frage und nahm den Hörer in die andere Hand. »Ich kann anhand der mir vorliegenden Fotokopie nicht mehr als eine schemenhafte Vorstellung gewinnen. Es ist auf einer fast schwarzen Wiedergabe nicht einmal erkennbar, ob es ein gutes Bild, geschweige denn, ob es von Velázquez ist. Ich müsste ausschließen können, dass es eine Kopie ist, und ich würde gern die Qualität der Details prüfen. Wenn aber das Material bei Ihnen präziser ist und Detailaufnahmen und Protokolle chemischer Untersuchungen dabei wären É«
Delia verfolgte hellhörig jede Nuance seines Sinneswandels und wunderte sich zunehmend, wie Schritt für Schritt seine anfänglichen Bedenken dahinschmolzen.
Wenn er diesen Auftrag annahm, so wäre dies für ihn immerhin eine Gelegenheit, seine heimlich gehegten Reisepläne in die Tat umzusetzen. Außerdem - vielleicht stammte das Gemälde der Italienerin von einem interessanten anderen Meister, wenn es schon kein echter Velázquez war. Ganz qualitätlos schien es ja wirklich nicht zu sein. Selbst eine Kopie wäre bereits wertvoll, wenn sich damit ein verlorenes Velázquez-Werk nachweisen ließe. Obendrein lagen an der Strecke einige Orte mit herrlichen Bauwerken und Museen, die er noch nicht gesehen hatte. Die Idee gewann für ihn mehr und mehr an Reiz.
»Werden Sie kommen?«, fragte die Italienerin auf der anderen Seite.
»Ich will die Möglichkeit nicht ausschließen«, erwiderte Duncan.
Die Andeutung seiner Bereitschaft beschleunigte den Redefluss seiner Gesprächspartnerin. Übersprudelnd sang sie das Lob der herrlichen Landschaft des nördlichen Veneto. Vicenza und Padua und Bassano. Was konnte er alles besichtigen? Die Namen zauberten Bilder in sein Gedächtnis. Giogiones Hochaltarbild im Dom von Castelfranco und und und É
Die Italienerin fuhr unbekümmert fort: »Damit lässt sich doch jederzeit ein Treffen in Asolo in der Provinz Treviso verbinden, wo ich alles Material zu dem hervorragenden Bild habe. Ich könnte Sie in Bassano oder Castelfranco von der Bahn abholen lassen.«
»Nun ja, warum eigentlich nicht?«, sagte Duncan. In London hatte er fast alles Vorgenommene erledigt; für eine kleinere Reise hatte er bereits das Nötigste dabei; Hemden, Socken und was noch fehlte, konnte er nachkaufen. In Italien war der Spätherbst gewiss wärmer und sonniger als auf den Britischen Inseln!
»Wann könnten Sie abreisen?«
»Darf ich meine Entscheidung bis morgen aufschieben? Ich muss meine Termine überprüfen. Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer im Hotel. Dort bin ich heute Abend zu erreichen.«
Nachdem sie dies bestätigt und er den Hörer auf die Gabel zurückgelegt hatte, sah ihn Delia mit großen Augen an. »Das ging aber schnell É Fährst du?«, fragte sie zögernd.
»Natürlich. Du willst es doch selbst.«
Delia blickte zu Boden. »Mhmm É Aber geh nicht verloren in Italien«, sagte sie leise. »Gib mir ein Zeichen. Spätestens, wenn du herausbekommen hast, von wem das Bild ist.«
Duncan drehte sich zu ihr herum und fasste sie fest bei den Schultern. »Das tu ich mit der größten Freude, egal, was herauskommt.«
»Wenn es kein Original ist, nimm es mir nicht übel, dass ich dich dazu gedrängt habe.«
»So einfach macht sich das eine schöne Frau!«, erwiderte Duncan nun belustigt. »Und was wird, wenn es wirklich echt ist?«
»Dann schickst du mir einen wunderschönen Blumenstrauß für mein Büro«, flüsterte sie. »Und als Absender schreibst du ÝRaffaelÜ. Dann weiß ich, woher er kommt.«

Asolo, September 1964

Als wäre es ein unauslöschlicher Traum, so unwirklich und doch real war der Blick über die Dächer dieser malerischen kleinen Stadt! Der lichte, rotbeige Ton der im Sonnenlicht glänzenden Ziegel kontrastierte mit den leuchtenden Farben der Laubbäume in Braunrot und Gelb. Dazwischen setzten die schwarzgrünen Zypressen kräftige Akzente. Der breite Turm des Kastells auf dem ansteigenden Hang gegenüber strahlte in einem weißlichen Rosa, während sich zur Linken als dunkle Silhouette mit einer schmalen Lichtkante der Glockenturm des Doms gegen die Sonnenhelle abhob. Dazwischen tat sich die Aussicht in eine weite Ebene auf, das Veneto, das in dieser Morgenstunde noch von einem zarten Dunstschleier verhüllt war.
Diesen Blick sog Duncan Munro auf der Frühstücksterrasse des Albergo al Sole ein, einem altertümlichen Hotel oberhalb des Marktplatzes des Städtchens Asolo. Die letzte Woche war an ihm vorübergeflogen in einem aufregenden Wechsel von langen Eisenbahnfahrten und intensiven Besichtigungen. Es kam ihm unwirklich vor, hier unter einem Sonnenschirm mit seinem Skizzenblock zu sitzen und einen milden Cappuccino zu schlürfen.
Was für ein guter Geist hatte ihn an diesen friedlichen Platz geführt? Wären nicht einzelne Autos auf dem Marktplatz abgestellt, hätte er den Anblick der Häuser wie den der Menschen nicht genau datieren können. Nachts war es ländlich still gewesen, und er hatte dem Zikadenlärm und seltenen Vogelstimmen gelauscht, bis er eingeschlafen war. Erschöpft von den ausholenden Besichtigungsprogrammen in Bergamo, Brescia, Verona und Vicenza, hatte er sich hier jedoch spürbar erholt. Was in den Reiseführern nur zwei Zeilen auseinander stand, war zu Fuß oft ein langer Marsch über hartes Straßenpflaster gewesen. Sein Erkundungsdrang war ungebrochen, und seine Begeisterung für den Abwechslungsreichtum der alten Städte und ihrer reichen Monumente war durch das Gesehene weiter gestiegen.
Aber er war noch nicht am Ende von Ruhemanns Empfehlungsliste angekommen und vor allem nicht dort, wo es um die Spuren von Velázquez ging. Je näher er an Venedig herankam, umso näher kam er der Bilderwelt, die den großen Meister vor drei Jahrhunderten inspiriert haben musste. Die Gemälde der Malerfamilie Bassano begegneten einem rundum in allen Qualitätsstufen und Erhaltungsgraden. Castelfranco mit dem Madonnenbild von Giorgione war nicht weit; die Villa Masér mit Veroneses Illusionsmalereien lag östlich von hier hinter den nächsten Hügeln. Der Meister könnte hier bereits herumgekommen sein. Aber es könnte auch etwas von ihm hier hinterlassen worden sein.
Und Ruhemann hatte Duncan ans Herz gelegt, sich die echten Meisterwerke Canovas anzusehen, dessen Ateliernachlass in der nächsten Nachbarschaft. Duncan freute sich besonders auf die Gipsfigur von Amor und Psyche, die dem Original im Louvre als Vorbild gedient hatte. Jener Psyche, der schon der große Schriftsteller Flaubert erlag, als er zum Entsetzen der Museumswärter ungeniert ihre kalte Brust küsste É
In das Gespinst seiner träumerischen Vorstellungen drängte sich ein auffallender Teil der vor ihm liegenden Wirklichkeit. Eine hoch gewachsene, schlanke Frauengestalt hob sich plötzlich vom hellen Hintergrund des menschenleeren oberen Endes des Marktplatzes ab. Mit ihrem energischen Gang und der geschmeidigen Bewegung der grazilen Figur fesselte sie seine Aufmerksamkeit. Schmalköpfig, das dunkle Haar glatt nach hinten frisiert, war sie von eindrucksvoller Eleganz. Der Zielsicherheit nach zu urteilen, mit der sie ihre Schritte bergauf auf sein Hotel zu lenkte, musste es Signora Vasari sein.
Welch reizvolle Erscheinung! Jetzt war sie aus seinem Blickfeld entschwunden, da sie unten an der Treppe angekommen war. Er hörte das flinke Klappern von Absätzen auf den Stufen.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 04.02.2005