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Großzügig? Für Leinwand, Farben und Pinsel?«
»Nein, für Modell, Unterkunft und Bestechung! Glaubt Ihr etwa, die Venus, die ich für Euch auswählen soll, ist in Italien umsonst zu haben?«
»Wie viel?«
»Wisst Ihr, wie viel ein Ablass der Inquisition hierfür kostet?«
Meine Worte lassen ihn kalt. »Wie viel?«
»Eintausend Dukaten! Und zweitausend Dukaten Honorar sofort!«
Don Gaspar springt auf und blickt fassungslos. »Was fällt Euch ein? Das ist reinster Wucher! Ein Wahnsinn!«

»Für mich auch, Marqués«, erwidere ich beherrscht.
»Eintausend für Euch! Basta!«
»Zweitausendfünfhundert!«
»Seid Ihr vom Affen gebissen?«
Ich stehe ebenfalls auf und blicke ihm hart in die Augen: »Das, was ich für Euch erschaffen werde, wird unbezahlbar sein. Ich verhandle nicht, ich steigere eher die Summe für jede Stunde Eurer Unentschlossenheit. Ihr wollt etwas von mir, das Euch sonst keiner geben kann; ist es nicht so? Holt endlich das Geld!«
Don Gaspars Gesicht ist kalkweiß. Sein rechter Mundwinkel beginnt zu zucken. Er wendet sich stumm ab und rennt hoch erregt zweimal im Raum auf und ab. Schließlich verschwindet er.
Nach einer Weile, die mir zur Ewigkeit gerät, kommt er mit zwei prall gefüllten Säckchen in der linken Hand zurück, bleibt vor mir stehen, blickt finster und streckt seine rechte Faust mit aufgestellten Daumen in meine Richtung. Das Zeichen, dass der Stierkämpfer seine Chance bekommt.

V. Antonio Canovas
Gypsotheca

London - Asolo - Possagno
1964

London, September 1964
Delia entfaltete ein weißes Papier, das sich als Fotokopie eines Fotos herausstellte, eines ziemlich dunklen Fotos mit einem großen weißen Blitzlichtfleck in der Mitte. Rechts neben dem Blitzlicht sah man zwei nackte Beine, links war ein auf Kissen gelagerter Oberkörper angedeutet. Das Ganze war unscharf und fast schwarz, aber vielleicht gehörte es zu einem einstmals anmutigen Bild.
Sie sah Duncan erwartungsvoll an. »Ich zeige es nur dir«, und nach einer Pause: »Stell dir vor, eine Dame aus Italien hat vor einigen Wochen an das Museum geschrieben, sie besäße ein zweites Venusbild, das noch etwas größer als Mr. Ruhemanns Patientin sein soll. Und es sei ziemlich sicher von Velázquez in Italien gemalt worden, das sei beglaubigt durch eine alte lateinische Inschrift oder so ähnlich. Meinst du É?«
Als er den Mund zu einem Grinsen verzog, zeigte sich Delia äußerst enttäuscht. »Du bist schrecklich arrogant. Es muss ja nicht gleich Velázquez sein, vielleicht hat es ein Nachfolger É Sieh es dir richtig an!«
»Wenn man nur etwas sehen könnte É aber es gibt so viele dunkle Bilder, und jeder meint É«
Delia gab ihm einen Klaps auf den Arm. »Du hast doch so viel Fantasie! Die Frau klang nicht ungebildet.«
»Wieso klang? War sie hier?«, fragte Duncan ungläubig.
»Sie hat vorgestern angerufen. Ach, du verdirbst mir alles. Ich dachte, ich mache dir eine große Freude und helfe dir, etwas sehr Schönes zu entdecken. Für dich habe ich mich sogar über unsere Dienstvorschriften hinweggesetzt É« Delias Stimme versagte. Sie war den Tränen nahe, nachdem an diesem Tag nichts von ihren Plänen zu gelingen schien. Sie wandte sich ab und wollte aufstehen. Aber Duncan legte ihr seinen Arm auf die Schulter und besänftigte sie.
»Ich bin dir dankbar, dass du das für mich getan hast. Ich habe meine Antwort nicht so gemeint. Sei mir nicht böse, und erzähl weiter!«
Sie schmollte noch einen Moment und berichtete dann von dem Brief, den sie so aufregend gefunden hatte: »Die Frau hat eine schöne Schrift und beschreibt alles so spannend. Ich konnte mir richtig vorstellen, was sie meint. Sie schrieb von einer unbekannten Privatsammlung und einer winzigen Versteigerung, aber auch von der großen Begeisterung eines Universitätsdozenten in Padua. Sie wollte von unseren Experten für spanische Malerei wissen, ob ihnen dieses Bild schon bekannt sei, aber vor allem sollten wir ihr sagen, welchen Wert das Bild hätte. Außerdem klang der Brief so, als ob sie das Bild gleich an uns verkaufen wollte.«
Delia konnte an Duncans Gesichtszügen seine tief sitzenden Zweifel ablesen. Sie beteuerte: »Natürlich ist die Frau ahnungslos und weiß nicht, dass wir ihr keinen Käufer vermitteln dürfen. Aber sie hat sich an uns gewandt, wie das immer wieder vorkommt. Und manchmal«, sie sah ihn verunsichert an, »manchmal macht man ja wirklich eine Entdeckung.«
Duncan hütete sich davor, seine Bedenken zu artikulieren. Als Delia geendet hatte, erhob er sich und streichelte ihre Wange. Gleichzeitig schwenkte er die dunkle Abbildung in der Hand und legte sie vor sie hin: »Man kann einfach zu wenig erkennen!«
»Zugegeben, das Foto ist schrecklich! Aber gib mir wenigstens Recht, dass das Bild nicht ungekonnt ist!«, beharrte sie und blickte zu ihm hoch. »Stell dir vor, das Bild sei in Wirklichkeit viel heller und lieblicher - was es sicher auch ist!«
Duncan hatte solche hoffnungsvollen Betrachtungen oft genug erlebt. Jedes alte Schloss besaß einen Tizian, den noch der Großvater für echt gehalten hatte. Und hier sagte einfach die nüchterne Erfahrung, dass es wieder einmal eine von diesen chancenlosen Spekulationen war. Und selbst wenn das Bild alt war, konnte es irgendetwas sein, von einer Kopie angefangen bis É Er sprach seine Gedanken nicht aus, weil er Delia nicht verletzen wollte. Die Möglichkeit einer absoluten Neuentdeckung stand eins zu zehntausend. Wie beim Lotto fallen unzählbar viele Nieten auf einen erwähnenswerten Gewinn. Wie viele haben schon geglaubt, die Erstfassung der Mona Lisa gefunden zu haben? Auf hundert Meter sah man dann aber meistens, dass alles Unsinn ist. Aber all diese fanatischen Entdecker bombardieren die Experten mit ihren Briefen. Arme Delia, dass sie mit so was befasst wird! Aber unschätzbare Delia, dass sie an ihn gedacht hatte!
»Ich habe den Brief der Italienerin nur deshalb gelesen, weil ich die herablassenden Bemerkungen mitbekam, mit denen sich einer unserer Kunsthistoriker über ihn äußerte. Das postkartengroße Foto, das beigefügt war, zeigte etwas schärfer das, was die Fotokopie nur grob wiedergeben kann. Ich musste es wieder zurückschicken und unser Normschreiben dazu, dass wir keine Preisauskünfte geben können.«
»Ziemlich engstirnig!«, pflichtete Duncan ihr bei. »Wenn so ein Gemälde echt ist, ist ein öffentliches Museum noch am wenigsten parteiisch É«
»Und du bist nicht engstirnig, habe ich gedacht. Du bist doch so ein Spurensucher, und ich verstehe ja viel zu wenig. Aber was man von dem Bild erkennen konnte, fand ich eigentlich schön. Die Frau hat nach unserem Absagebrief hier angerufen, ob wir ihr nicht wenigstens andere Experten nennen könnten. Mir tat sie leid, und ich habe ihr gesagt, ich wüsste einen Experten, der infrage kommen könnte.«
»Und was soll ich aufgrund einer so schwachen Reproduktion sagen?«
»Da ich wusste, dass du heute kommst, habe ich angeboten, dass sie noch mal hier anruft. Sie wollte es mittags und gegen Dienstschluss nochmals probieren. Sie muss dir eben das bestmögliche Fotomaterial und alles Übrige zusenden. Du sagst ihr, was du für ratsam hältst.«
»Ich tue ja alles für dich, liebe Delia É«
Delia explodierte. »Du redest mit mir wie mit einem Dummchen! Du brauchst nicht auf meine Unkenntnis Rücksicht zu nehmen. Ich denke, du solltest Interesse zeigen, wenn jemand deinen guten Rat will.«
In diesen Moment hinein war das Telefon aus Delias Büro zu vernehmen. Sie war froh, den Raum verlassen zu können. Duncan fühlte sich plötzlich schuldig, weil sie so enttäuscht war und er sich ungeschickt angestellt hatte, sie von seiner Meinung zu überzeugen.
»Es ist für dich! Komm rüber in mein Büro!«, hörte er Delias aufgeregte Stimme.
Mit erwartungsvollem Gesichtsausdruck stand sie an ihrem Schreibtisch. Sie drückte ihm den Telefonhörer in die Hand und schob ihm ihren Bürostuhl unter.
»Mister Munro, hier spricht Livia Vasari«, sagte langsam und jede Silbe betonend eine wohlklingende Stimme aus dem Hörer. »Sie sind der Velázquez-Experte, wie mir die Dame bereits am Telefon sagte?«
Was für ein melodischer Tonfall, dachte Duncan, unwillkürlich fasziniert, eine Stimmlage zwischen Mezzosopran und Alt! Er musste das Kompliment an ihn mit einer aufmerksamen Bemerkung kontern. »Signora Vasari, habe ich Ihren Namen recht verstanden, wie der große Giorgio Vasari?«
Sie ließ ein Lachen erklingen, mit einem glöckchenhaften Klang darin. »Ja, ganz recht, aber leider weiß ich nicht einen Bruchteil dessen, was dieser große Mann an Kenntnissen besaß. Deswegen erbitte ich Ihre Hilfe.«
Die Artikulation und der Singsang der italienischen Worte entzückten Duncans Ohr. Er begann Interesse für die Konversation zu empfinden, obwohl sie sich um ein obskures Bild drehte, zu dem er seiner hochgestimmten Telefonpartnerin mit Sicherheit ernüchternde Auskünfte geben musste.
Aber die Dame mit dem seidigen Stimmklang wollte ihn nicht überrumpeln, sondern äußerte überraschendes Verständnis. Es war nicht unangenehm, ihr Auskünfte zu geben.
Er konnte ihr versichern, er habe viele Werke von Velázquez und seinen Zeitgenossen millimetergenau studiert und wisse, wie unterschiedlich diese in ungereinigtem und gereinigtem Zustand aussähen. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 03.02.2005