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»Luhmann«-Autor Tom Peuckert ist ist gespannnt auf die Inszenierung.

48 Systeme
verfallen in
tragische Ironie

Zur Uraufführung von »Luhmann«

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). 48 psychische Systeme werden am kommenden Samstag, 19.30 Uhr, die Uraufführung des brandneuen Stückes »Luhmann« miterleben, denn 48 Plätze hat das TAMoben. Der Bielefelder Soziologe (1927-1998), Denker der Systemtheorie, sprach nie von menschlichen Individuen . . .

Genau das haben ihm die Linken in den 60ern vorgeworfen. Sie monierten, dass Niklas Luhmanns Theorie nicht humanzentriert sei, dass sie dem Traum von einer besseren Welt keinen Raum gebe, dass sie Utopien unmöglich mache. So ein klassischer frustrierter Linker taucht auch in dem Auftragswerk für das Bielefelder Theater auf, das der Berliner Autor Tom Peuckert (42) dem berühmten Soziologen widmete: Gerd Stüwe, gespielt von Stefan Hufschmidt, rechnet mit seinem Lehrer Luhmann ab. Nie habe der Gefühle offenbart, immer habe er sich in emotionslose, wertungsfreie Wissenschaft gestürzt.
»Natürlich ist Peuckerts Stück keine theatrale Darstellung der Luhmannschen Biographie und erst recht keine Interpretation seiner Systemtheorie«, erklärt Regisseur Patrick Schimanski. Vielmehr spielen die Darsteller - neben Hufschmidt sind dies Nicole Paul, Oliver Baierl und Harald Gieche - in wechselnden Rollen einige Gedanken der Luhmann-Philosophie durch. »Da darf jeder im Publikum seiner Phantasie freien Lauf lassen«, meint Dramaturg Gerd Muszinski.
Denn es wird nie ganz eindeutig sein, ob das Publikum nur beobachtet (Luhmanns Lieblingstätigkeit), oder ob es mitspielt. Und die Akteure auf der Bühne, die ein wenig an einen Uni-Hörsaal gemahnt, spielen nicht nur - sie beobachten ebenfalls, mal als Clowns, mal als Leute wie du und ich. Colin Walker hat eine Arena-Bühne geschaffen, ein Viereck mit ansteigenden Stuhlreihen. Eine solche Bühne sollen, ganz intuitiv, auch die Lektoren beim Suhrkamp-Verlag vor Augen gehabt haben, als sie Peuckerts Text in Händen hielten. »Ich möchte ein bisschen die Atmosphäre des römischen Colosseums einfangen«, gesteht Walker.
Humorvoll ist der Text (nicht nur wegen der auftretenden Clowns), in jedem Fall aber ein Spiegel gesellschaftlicher Ereignisse. »ÝLuhmannÜ greift aktuelle Themen genauso auf wie ergrundlegende Fragen der Menschen anreißt und durchspielt«, sagt Schimanski. »Und wenn die Zuschauer aus der Inszenierung mitnehmen, dass es in der immer komplizierter werdenden Welt keine eindeutigen Antworten mehr geben kann, haben wir alles richtig gemacht.«
Verunsicherung als Qualitätsmerkmal für Theaterspiel? Warum nicht - Luhmann empfahl den heute lebenden sechs Milliarden psychischen Systemen, »die vielleicht bestmögliche Welt« jenseits aller Utopien gelassen zu betrachten. Mit »tragischer Ironie« eben.

Artikel vom 02.02.2005