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39 Tote: Wer
hat die Schuld?

Unglück im Montblanc-Tunnel 1999

Annecy (dpa/Reuters). 39 Menschen starben, als am 24. März 1999 ein Lastwagen mitten in dem Tunnel zwischen Frankreich und Italien in Brand geriet. Gestern begann der Prozess um die Feuerkatastrophe im Montblanc-Tunnel vor fast sechs Jahren.

16 Personen und Institutionen müssen sich nun wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Der Prozess soll drei Monate dauern.
Wegen des Andrangs von Angehörigen, Experten und Zuschauern verhandelt das Gericht von Bonneville im Gemeindesaal der Stadt in den französischen Alpen. Auf der Anklagebank sitzen der Fahrer des Lastwagens, dessen Zigarettenkippe den Brand im Fahrzeug vermutlich ausgelöst hatte, der Lastwagenhersteller Volvo sowie die französischen und italienischen Tunnelbetreiber. Den Betreibern werden mangelnde Sicherheitsvorkehrungen vorgeworfen. Den Angeklagten drohen drei Jahre Haft.
Beobachter des Verfahrens mit mehr als 50 Fachleuten und gut 60 Anwälten befürchten einen »Krieg der Experten«, denn bislang hat sich keiner der Beschuldigten auch nur zu einer Teilschuld bekannt. Die italienischen Tunnelbetreiber haben zwar 13,5 Millionen Euro in einen Fonds für die Angehörigen der Opfer eingezahlt, betrachten dies allerdings nicht als Schuldeingeständnis.
Zum Zeitpunkt des Dramas wurde von italienischer Seite - statt Rauch abzusaugen - Frischluft zugefügt, was den Brand noch anfachte. Es wird ferner zu klären sein, wieso der Fahrer des mit Margarine und Mehl beladenen Lastwagens, der in dem elf Kilometer langen Tunnel auf halber Strecke in Flammen aufgegangen war, sein Fahrzeug auf der Fahrbahn stoppte und nicht bis zu einer Haltebucht weiterfuhr.
Volvo hat jede Verantwortung für das Unglück zurückgewiesen, während die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, dass durch einen Konstruktionsfehler des Motors Öl auslief und den Brand auslöste.
Technische Detailfragen dürften das Gericht wochenlang beschäftigen. Im Mittelpunkt stehen Sicherheitsaspekte: Die letzte Feuerwehrübung im Tunnel fand in den 70er Jahren statt, das Material der französischen und italienischen Feuerwehr passte nicht zusammen.
Nach Umbauten für 300 Millionen Euro war der Haupttunnel zwischen Frankreich und Italien im März 2002 gegen den Protest der Bevölkerung wieder eröffnet worden.
In der Verhandlung sollen 20 Sachverständige und mehr als 150 Zeugen aussagen, unter ihnen der frühere französische Ministerpräsident Edouard Balladur. Über 200 Nebenkläger aus Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Kroatien, Slowenien und Belgien treten in dem Verfahren auf. Mit einem Urteil wird in drei Monaten gerechnet. »Die Verwandten der Opfer warten auf eine Konfrontation mit denjenigen, die sie als die Ursache ihres Unglückes betrachten. Was sie erlebt haben, ist schrecklich. Sie wollen die Gesichter zu den Namen kennen lernen«, sagte der Nebenklage-Anwalt Alain Jakubowicz vor dem Prozess-Auftakt.

Artikel vom 01.02.2005