05.02.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Und das Korn tanzt wie wild
»Biathlon Schnupperkurs« in Antholz - Die Boom-Sportart lockt Laien zur rasanten Jagd über Loipe und Schießstand
Nur ruhig Blut, Biathlon kann jeder: Der neue Trendsport ist so alt wie die Menschheit. »Hit and run« lautete die Überlebenskunst schon unserer Urahnen für Tausende von Jahren. Heute lockt die Kombination aus Skilanglauf und jagdlichem Schießen Millionen vor die Bildschirme. Aktive Biathleten sind dagegen noch selten, aber das ändert sich gerade.
Beim »Biathlon Schnupperkurs« im Südtiroler Antholz darf Otto-Normal-Sportler durch die Loipe hecheln und auf der Schießbahn zeigen, was von den Genen seiner Vorfahren noch in ihm steckt.
Die Waffe, meist aus Nussholz, muss mindestens 3,5 Kilo wiegen, erläutert Skilehrer Gerhard Zingerle. Diopter und Ringkorn helfen beim Zielen. Hauptsache, man hat bei der wilden Jagd auf schmalen Latten durchs Hochgebirge nicht vergessen, die Schneeschutzklappen am Visier zu öffnen.
Die 27 Bahnen im hochalpinen Leistungszentrum unter azurblauem Himmel sind 50 Meter lang. Ein eiskalter Wind pfeift an diesem traumhaft schönen Wintertag. Ich sinke auf die graue Matte. Zuerst wird geladen. Vier Magazine für je fünf Bleigeschosse sind vorbereitet. Kaliber 0,22 ist auch noch auf 300 Meter tödlich. Der Skilehrer garantiert für Sicherheit. Kein Tourist darf mit der Waffe auf dem Rücken im Wald verschwinden. Selbst Athleten benötigen dafür den Waffenschein.
Die Angst des Schützen wächst. Ich lieg lang auf dem Bauch. Das linke Bein stark abgewinkelt. Der Blick voll konzentriert, Puls 98 - und das Ringkorn tanzt wie Rumpelstilzchen vor den fünf schwarzen Punkten drüben unter der Felswand.
Nein, versichert Gerd auf meine Frage, Könner nutzen weder Voodoo noch Yoga, um ihren Herzschlag rapide sinken zu lassen. »Die treffen mit Puls 120, manche sogar mit 130er Herzrasen.«
Selbst die Profis erkennen mit bloßem Auge nicht, ob sie auf die 4,5 Zentimeter-Scheibe oder das Elf-Zentimeter Ziel halten, lernt der Schüler. »Und da soll ausgerechnet ich auch noch treffen!«, schießt es mir durch den Kopf. Aber schon sucht ein eiskalter Zeigefinger den Druckpunkt.
Plong? Plong? Plong! Na bitte, der dritte Schuss sitzt. Eine weiße Klappe hüpft so hoch wie mein Herz. Der Erfolgstrainer macht selbst, was er mir gerade noch geraten hat: Er atmet tief durch. Anfängerglück beim aufgelegten Schießen sei allerdings üblich, holt er den jungen Nimrod schnell von Wolke sieben.
Ich werde ruhiger - und ehrgeiziger. Die Scheiben vier und fünf wechseln von Schwarz auf weiß. Fünf Schüsse, drei Treffer. Was will der Neu-Biathlet mehr? Vielleicht mal ohne Auflage oder statt der 11er die kleine Scheibe?
Nebenan räumt gerade eine flotte russische Weltcup-Läuferin die 4,5 Zentimeter-Ziele ab. Und während der Anfänger noch bis fünf zählt, huscht das Flintenweib schon wieder in den Wald auf die 2,5-Kilometer-Runde.
Total-Anfänger und Spitzenathleten aus aller Welt treffen in Antholz problemlos aufeinander. Rentner aus Bottrop und die Schleifer (pardon: Trainer) der chinesischen Nationalmannschaft radebrechen fröhlich auf Englisch. Noch (!) kommen die Fans ihren Idolen ganz nahe. Jedes Jahr im Januar ist Antholz Weltcup-, 2007 sogar WM-Austragungsort. Bislang herrscht dort oben in Südtirol die gute alte Langlauf- und Schneeschuhzeit. Die Frage ist, »Wie lange noch?«, seit RTL mit der Internationalen Biathlon-Union am Rande der Formel 1 in Monaco über die Zukunft verhandelte. Biathlon begeisterte im Dezember 40 000 in der Arena AufSchalke, sensationelle 38 000 Euro Preisgeld erhielt Kati Wilhelm für ihren Sieg in den »Golden Classics« (200 000 Zuschauer in Oberhof, Ruhpolding und Antholz zusammen) und 35 Prozent schalteten beim Prominenten-Biathlon um auf die ARD: Der Umbruch ist im vollen Gange. »Biathlon auf dem Weg zur Geldmaschine« titelte die »Financial Times Deutschland«.
Auch der Boom beim Nordic Walking, 2,2 Millionen verkaufte Stockpaare 2004, lenkt die Deutschen bei ihrer Suche nach dem idealen Wintersport in die Loipe. In Antholz kostet die Biathlon-Schnupperstunde 31 Euro im Einzelunterricht. Maximal vier weitere Teilnehmer zahlen je zehn Euro - und der Spaßfaktor steigt. Mit lautem »Hallo« quittiert der eigene Trupp jeden Treffer, während nebenan die Chinesen gedrillt werden. »Die machen das härteste Training von allen«, weiß Gerhard und: »Die kommen noch ganz groß raus.«
Beim flotten Skaten (fast wie auf Schlittschuhen) durch den Wald halte ich mich lieber an die Chilenen, die sind nicht ganz so schnell, aber doppelt so lustig. Das Nachsehen folgt schon am nächsten Anstieg. Dabei lernen geübte Alpin-Läufer den rasanten Langlauf relativ schnell. Blaue, rote und schwarze Loipen - besser: breit gewalzte Skiwege - stehen zur Verfügung. Kaum einer steigt noch in die Doppelspur. Die allgegenwärtigen Skijäger aus aller Welt mit ihren knallengen Rennanzügen stacheln den Ehrgeiz an.
In Antholz ist die Welt noch überschaubar. Die Hütten sind urig und gemütlich geblieben. Massenbetrieb Fehlanzeige. Und überhaupt die Kosten: Alles ist bezahlbarer als beim alpinen Abfahrtslauf. Die Wochenmiete für Schuhe und top-gewachste Latten beträgt gerade 45 Euro. Die Loipenmaut drei Euro am Tag, 15 Euro die Woche. Alle zahlen gern, keiner kontrolliert. Unterkünfte in Langlaufgegenden sind sowieso günstiger. So kostet das erste Haus am Platz, der »Antholzerhof« (drei Sterne, Hallenbad), im Februar 42 Euro pro Nacht. Zehn Kilometer weiter, direkt am Kronplatz, zahlt der Gast im vergleichbaren »Hotel Christoph« 70 Euro - nur für Übernachtung und Frühstück, versteht sich.
Unterdessen werden oben im Stadion beim Schießen die Finger klamm. »Laufen wir eine Runde« sagt Gerhard, reicht mir Handschuh und Stöcke und lässt mich lostoben. Die »Strafrunde« zum warm werden beträgt knapp 200 Meter, dann zurück auf die Matte, in die Knie, Magazin einsetzen, hinlegen, visieren, atmen und ganz ruhig werden. Schon kommt die attraktive Russin aus dem Wald zurück, hechtet auf ihren Platz direkt nebenan und lädt locker durch. Keine Chance für den Hobby-Biathleten. Mein Puls schnellt auf 140.Reinhard Brockmann

Artikel vom 05.02.2005