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Unbequemer
Grenzgänger

Publizist Alfred Grosser 80 Jahre alt

Von Hanns-Jochen Kaffsack
Paris (dpa). Alfred Grosser nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um das deutsch-französische Verhältnis geht: Das Tandem Berlin-Paris gleiche einer »Lokomotive ohne Waggons, einem Motor ohne Benzin, weil neue Vorschläge für Europa als Treibstoff fehlen.« Heute wird Grosser 80 Jahre alt.
Moralist und Historiker Alfred Grosser. Foto: dpa
»Wie anders ist Frankreich?«, fragt sein jüngstes Buch, das beidseits des Rheins erscheint. Wie anders ist es denn? »Es gibt viel nationale Selbstüberschätzung«, resümiert Grosser.
Er ist Franzose, wird aber oft als Deutscher wahrgenommen. Journalist, Moralist, Germanist, bekennender Atheist und Historiker - seine Stimme hat seit Jahrzehnten Gewicht im politischen Diskurs, in Frankreich wie in Deutschland. In Frankfurt am Main geboren und in Frankreich eingebürgert, ist Grosser als intellektueller Pulsfühler, als unverblümter Leitartikler und profilierter Länderexperte in den Medien dauerpräsent. Wenn er nicht gerade den »deutsch-französischen Niedergang auf der europäischen Ebene« anprangert, geht er mit der EU-Erweiterung ins Gericht (»der Weg für diesen beispiellosen Schritt wurde nicht vorbereitet«). Er hofft unterdessen sehr wohl, dass die EU-Verfassung hier wie dort ratifiziert wird.
Wegen des jüdischen Glaubens seiner Eltern hatte er Deutschland als Achtjähriger verlassen müssen. Seine neue Heimat fand der Sohn eines bekannten Frankfurter Kinderarztes in Frankreich, seine Wurzeln blieben aber in Deutschland. Den Durchbruch im Geburtsland erzielte er mit der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1975. »Ich habe in der Rede sehr gegen die Berufsverbote gegen Extremisten im öffentlichen Dienst in den 70er Jahren plädiert, das hat mir viel Aufmerksamkeit eingebracht«, erinnert er sich.
Die Kenntnis beider Kulturen macht es Grosser möglich, hier wie dort Unbequemes laut zu sagen. In Büchern, Aufsätzen und Analysen wirbt er für gegenseitiges Verständnis. Als eine der jüngsten Anerkennungen bekam er im Herbst 2003 das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband - eine der höchsten deutschen Ehrungen.

Artikel vom 01.02.2005