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Iraker zur Aussöhnung ermutigt

Wahl als ermutigendes Zeichen im Kampf gegen Terrorismus gewürdigt

Bagdad (AP). Nach der historischen Wahl im Irak hat Ministerpräsident Ajad Allawi sein zerrissenes Land zur Aussöhnung aufgerufen. »Alle Iraker, ob sie nun gewählt haben oder nicht, sollten ihre Zukunft gemeinsam aufbauen«, appellierte Allawi gestern mit Blick auf den Wahlboykott der sunnitischen Minderheit.
Gestern wurde mit der Stimmenauszählung begonnen. Es wird mindestens zehn Tage dauern, bis ein endgültiges Wahlergebnis vorliegt. Die Wahlbeteiligung lag bei mehr als 57 Prozent. Foto: AP

Das Ausland mahnte eine Beteiligung der Sunniten an der neuen Regierung und bei der Ausarbeitung einer Verfassung an, um den Irak zu stabilisieren und die Gewalt einzudämmen. Weltweit wurde die erfolgreiche Abstimmung als ermutigendes Zeichen im Kampf gegen den Terrorismus gewürdigt.
Die Ergebnisse der ersten freien Wahl im Irak seit mehr als 50 Jahren dürften erst in einigen Tagen feststehen. Die Bildung einer neuen Regierung könnte sich Wochen hinziehen. Trotz der Gewalt - am Wahltag starben mindestens 44 Menschen bei Anschlägen - lag die Beteiligung nach Angaben der Wahlkommission bei wahrscheinlich mehr als 57 Prozent.
Allawi sagte: »Jetzt wissen die Terroristen, dass sie nicht gewinnen können.« Nun gelte es, die vom gestürzten Regime gesäten Unterschiede zwischen den Religionsgruppen zu überwinden. Zunächst war unklar, ob die Wahl die Aufständischen im Irak geschwächt hat oder ob vielmehr die Gewalt kurzfristig zunimmt.
Westliche Politiker wie Bundesaußenminister Joschka Fischer riefen dazu auf, alles zu tun, dass »diejenigen, die den Wahlen noch ferngeblieben sind, nach Möglichkeit in den Verfassungsprozess eingebunden werden«. Nur mit einer Verfassung könne die volle Souveränität des Irak hergestellt werden. »Dazu braucht man alle großen Gruppen im Land, um einen belastbaren Konsens herzustellen.«
US-Präsident George W. Bush bezeichnete die Wahl als einen überwältigenden Erfolg: »Die Welt hört die Stimme der Freiheit aus dem Zentrum des Mittleren Ostens.« Irak habe auf dem Weg zur Demokratie noch eine Strecke zurückzulegen, doch habe das Volk gezeigt, dass es den Herausforderungen gewachsen sei. Der britische Premierminister Tony Blair sprach von einem Schlag ins Herz des weltweiten Terrorismus.
Arabische Staaten sollten sich nach den Worten des italienischen Ministerpräsident Silvio Berlusconi ein Vorbild am Irak und dessen demokratischer Entwicklung nehmen. »Diese Wahl kann zu einer positiven Ansteckung in all den anderen arabischen Staaten führen, wo Autoritarismus herrscht, wo die Bedingungen für die Frauen Unfreiheit und Würdelosigkeit sind, wo viele weitere Schritte getan werden müssen, um aus dem Mittelalter herauszukommen und die Regierungsformen abzulösen, die sicherlich nicht demokratisch sind«, sagte Berlusconi gestern.
Derweil erklärte die islamistische Gruppe Ansar al Islam, sie habe am Sonntag ein britisches Transportflugzeug abgeschossen. Das Verteidigungsministerium in London teilte mit, zehn Angehörige der Luftwaffe würden vermisst und seien vermutlich tot. Die Selbstbezichtigung der irakischen Terrorgruppe werde geprüft. Bestätigt sich die Opferzahl, wäre dies der folgenschwerste Zwischenfall mit britischen Truppen seit Beginn des Irak-Kriegs. Im Westen des Landes wurde nach US-Angaben gestern ein amerikanischer Marineinfanterist bei Kämpfen getötet.
Der irakische Innenminister Falah al Nakib erklärte, Rebellen hätten bei ihren Anschlägen auf Wahllokale ein behindertes Kind als Selbstmordattentäter geschickt. Nach Polizeiangaben litt es offenbar am Down-Syndrom.
Gestern wurde mit der Stimmenauszählung begonnen. In Nadschaf arbeiteten die Wahlhelfer wegen eines Stromausfalls im Schein von Öllampen. Auch in Deutschland wurde gestern mit der Auszählung der Stimmen der Auslands-Iraker begonnen, die sich an der Wahl für ein Übergangsparlament in ihrer Heimat beteiligt haben. Bis zum Mittwoch soll die Zählung abgeschlossen sein, danach wird das Ergebnis an die irakische Wahlkommission weitergeleitet. Das Auslandswahlbüro in Deutschland wird kein Ergebnis veröffentlichen, teilte eine Sprecherin in Berlin mit. Ausgezählt wird in den Wahllokalen in Berlin, Köln und Mannheim. In München werden die Wahlzettel erst von heute an ausgewertet. An der Wahl hatten sich 95 Prozent der in Deutschland registrierten Iraker beteiligt, was 25 000 Wählern entspricht.
Die 275-köpfige Nationalversammlung ist für elf Monate gewählt worden. Sie soll eine Verfassung ausarbeiten. Wird diese in einem Referendum angenommen, sind für Dezember erneut Wahlen geplant.

Artikel vom 01.02.2005