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Heldentenor hat sein
Leben nicht bereut

Walter Fritz feiert heute seinen 90. Geburtstag

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Der Mann, der seine Besucher in seinem Appartement im Caroline-Oetkerstift empfängt, strahlt eine wache Gelassenheit aus. Ob er Kaffee kochen soll, oder etwas anderes anbieten kann, will er wissen. Lässig lässt er ein Foto-Shooting über sich ergehen. Was muss, das muss. Dann beginnt er zu erzählen aus einem bewegten Leben, das am Montag, 7. Februar, 90 Jahre währt. »Und es ist immer noch lebenswert«, sagt Walter Fritz mit einem verschmitzten Lächeln in den Augenwinkeln.

Den Humor hat er sich bewahrt - trotz der Widrigkeiten und persönlichen Schicksalsschläge, die das Leben für ihn, den »Halbjuden ersten Grades«, bereithielt. 1915 als Sohn eines berühmten Stuttgarter Kammersängers und einer jüdischen Mutter geboren, hätte Fritz nach dem Abitur gerne ein Kapellmeisterstudium aufgenommen. Daran war nicht zu denken, zumal sein Vater wegen seiner jüdischen Frau bereits 1933 aus der Reichskulturkammer entlassen wurde.
Statt dessem absolvierte Fritz eine Ausbildung zum Kaufmann und meldete sich 1936 freiwillig zum Wehrdienst. »Ich sagte mir, dass man die jüdische Mutter eines deutschen Soldaten, der das Hakenkreuz auf seiner Uniform trug, nicht schikanieren oder gar verhaften würde«, schreibt Walter Fritz Jahrzehnte später in seinen Erinnerungen nieder, die 2002 unter dem Titel »Wer Höb' den ersten Stein wohl auf« im Verlag Arthur Göttert erschienen. Seinen verschlungenen, zum Teil dramatischen Lebensgang hat Fritz mit erstaunlichen Detailerinnerungen angereichert. Ohne Selbstmitleid, ohne Schuldzuweisungen berichtet er sehr lebendig.
»1938 kam ich nach Bielefeld, um die Textilvertretung meines Onkels Julius Landauer zu übernehmen. Der Bruder meiner Mutter wurde als Jude von den Geschäftsleuten geschnitten«, erzählt der Senior, der als Handelsvertreter auch bei der Firma Katag seine Stoff-Kollektionen vorlegte und bei der Gelegenheit seine spätere Ehefrau kennen lernte. Erna Rören war als Direktrice bei dem Textileinkäufer beschäftigt und teilte als Halbjüdin das gleiche Schicksal mit ihm. Die Braut brachte einen Sohn mit in die Ehe, die am 3. Juli 1940 auf dem Bielefelder Standesamt geschossen wurde. »Ich hab es nicht bereut«, kann Walter Fritz über 63 Ehejahre berichten. Seine Frau starb im November 2003. Die letzten Fotoaufnahmen von ihr hängen an den Wänden von Fritz' Appartement und zeigen eine von Demenz gezeichnete Frau. Dass sie »friedlich nach der Morgenandacht eingeschlafen ist«, ist ihm ein Trost.
»Ich fürchte mich nicht vorm Tod, aber ein paar Monate oder Jahre wären mir recht«, sagt Walter Fritz, der seit 1997 im Caroline-Oetkerstift lebt. Nach überstandenem Krieg, anschließendem Gesangsstudium und Karriere als Heldentenor an großen Opernhäusern -Êmit Höhepunkt als Loge in Bayreuth -Êsowie parallel geführter Blusenfabrik »Fritz' Blusen« ist das Leben zwar ruhiger geworden, indes keineswegs uninteressant.
Der Musik gehört noch immer seine Leidenschaft. Nicht nur, dass der CD-Ständer in seinem 50-Quadratmeter-Reich überquillt vor Tonträgern, auch das Klavierspielen geht dem Jubilar noch immer gut von der Hand. Mitgebracht in die Seniorenresidenz hat er sein altes Klavier, Baujahr 1912, das in der Kapelle untergebracht wurde. Aber auch der Konzertflügel des Hauses wird von ihm regelmäßig bespielt. Mit einer von ihm gegründeten Gesangsgruppe probt er wöchentlich Volkslieder und Choräle und für die Hauszeitung des Caroline-Oetkerstifts schreibt er schon mal eine Konzertrezension, wenn Musiker im Haus Konzerte gegeben haben.
Außerhäusige Opern- und Konzertbesuche sind hingegen selten geworden. »Es fällt mir schwer, mich mit der zeitgenössischen Musik und dem modernen Regietheater anzufreunden«, gesteht Fritz. Mit Mitbewohnern, einem Arzt und einem Physiker, führt er hingegen einen regen Austausch über Kunst und Kultur und auch der Freundeskreis setzt sich aus Kulturschaffenden und Kulturinteressierten zusammen.
Sie alle werden Walter Fritz am Rosenmontag nicht nur gratulieren, sondern auch ein Ständchen bringen. Das Programm ist so durchgeplant wie auch erlesen. So wird unter anderem die bekannte Sopranistin Veronika Kuhn zu den Gratulanten gehören, die einen musikalischen Beitrag leisten. Das Geburtstagskind selbst wird am Flügel die Feier veredeln.
Wünsche? »Dass mit der Verstand erhalten bleibt«, sagt Walter Fritz. Anzeichen für das Gegenteil sind bislang nicht auszumachen.

Artikel vom 07.02.2005