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»Die Zeit ist mein Gefängnis«

Satiriker Ephraim Kishon stirbt nach einer Herzattacke in der Schweiz

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Zwei Tage nach der Feier zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz ist Deutschlands meistgelesener Satiriker Ephraim Kishon in seiner Wahlheimat Schweiz gestorben. Eine Herzattacke beendete das 80 Jahre dauernde Leben. Obwohl der Großteil seiner Familie im KZ umkam, mied Kishon die Deutschen nicht und wurde von ihnen als Lieblingsschriftsteller gefeiert.
Kishon fand bei seiner zweiten Frau Lisa Witasak Ruhe und Geborgenheit. Foto: AP
Seine Familie, hier Sohn Raphael, hielt Kishon aus den Medien heraus. Foto: teutopress

»Ich wurde zum Lieblingsautoren der Generation meiner Henker, das ist die wahre Ironie der Geschichte«, bekannte Kishon, der am 23. August 1924 als Ferenc Hoffmann in Budapest auf die Welt kam und 1949 beim Betreten des Flüchtlingsschiffes seinen Namen in Kishont ändern ließ. Bei der Einreise nach Israel wiederum strich ein Beamter das »t« und machte mit der Begründung »Gibt es nicht« aus Ferenc Ephraim. In Israel wird er auch am Mittwoch beerdigt.
Mehr als 50 Bücher schrieb Kishon in seinem arbeitsreichen Leben. Sie kamen in 37 Sprachen heraus. Seine Verlage verkauften bis jetzt mehr als 43 Millionen Exemplare, 31 Millionen allein in Deutschland. »Anfangs war ein Wiedergutmachungsrabatt dabei, aber die Menschen, die ihn heute lesen, wissen von seinem Schicksal oft nichts«, sagte der Paderborner Literaturwissenschaftler Hartmut Steinecke dieser Zeitung zum 80. Geburtstag im vergangenen Jahr. Steinecke ist Experte auf dem Gebiet jüdischer Literatur in Westfalen und darüber hinaus. Mit seinen witzigen Alltagsgeschichten habe Kishon eine literarische Lücke meisterhaft gefüllt.
»Habe ich erst einmal begonnen, kann ich nicht mehr aufhören, bis der letzte Satz geschrieben ist«, bekannte Kishon im Dezember 1988 bei einer Lesung in Lübbecke. Weil er nur vier, fünf Stunden Schlaf brauche, könne er seine Arbeitswut ausleben, berichtete er und beklagte gleichzeitig die Endlichkeit des Lebens: »Die Zeit ist für mich ein Gefängnis.«
Im Gegensatz zu jüdischen Leidensgenossen verharrte Kishon nicht im Kerker der Vergangenheit. »Kishon entschloss sich, nach vorn zu schreiben«, erklärt Literaturwissenschaftler Steinecke. Dadurch sei es ihm möglich gewesen, den Deutschen offen gegenüber zu treten und sogar den Antisemitismus ironisch anzugehen. Gleichzeitig war es Kishon ein großes Anliegen, für das Land der Juden zu werben. Bei einer Lesung in Bad Salzuflen beklagte er, dass auf manchen Landkarten Israel auch noch mit »Isr« abgekürzt werde, obwohl es schon so klein sei.
Kishon mochte die Mentalität der Deutschen, aber der Karneval blieb ihm zeitlebens fremd. Als »präventive Rache« verteidigte er in Bad Salzuflen seine Begrüßung auf Hebräisch und erklärte: »Bei der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst in Aachen habe ich vier Stunden lang überhaupt nichts verstanden. Ihnen wollte ich jetzt auch einmal das Gefühl vermitteln, nichts zu verstehen«. Kishon war ein Schelm, kein Narr, ein pointenreicher Erzähler, kein platter Büttenredner. Kishon schrieb nicht über Landschaften, sondern über Menschen. Dabei suchte er bevozugt nach den absurden Abzweigungen im menschlichen, eben oft keineswegs vernünftigen Verhalten.
Der Schriftsteller war längst in Deutschland ein Star, als er mit dem »Blaumilchkanal« (1974) auch in Israel den Durchbruch schaffte. Der aus der Irrenanstalt ausgebrochene Blaumilch gräbt mitten in Tel Avivs Hauptstraße einen Kanal und bekommt auch noch Unterstützung durch die Stadtverwaltung, die mit unsinnigen Bauprojekten vertraut ist. Neben der Bürokratie geißelte Kishon in seinen Büchern Intoleranz, politische Eiferer, aber auch die Ehe, weil sie angeblich nur den Frauen nutze.
Dabei war er selbst 40 Jahre lang mit Sara verheiratet, die im Frühjahr 2002 starb. Anfang 2003 ehelichte er die österreichische Schriftstellerin Lisa Witasek. In seinem letzten Interview am Freitag abend mit den »Stuttgarter Nachrichten« betonte Kishon: Ein langes Leben sei ihm weniger wichtig als ein lange wacher Geist.

Artikel vom 31.01.2005