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Berührungsängste sind fehl am Platz

Stammtisch der Spinnenfreunde wirbt um Verständnis für achtbeinige Mitbewohner

Von Reinhard Kehmeier
Gestringen/Rahden (WB). »Ein schönes Tier«, sagt Klaus-Peter Krähling und meint das große behaarte »Ungetüm« im Terrarium. Die Tiger-Vogelspinne mit langen Giftzähnen zählt zu seinen exotischen Hausgästen. Über die achtbeinige Gesellschaft weiß Krähling viel zu erzählen. Sie beschäftigt jetzt auch einen Stammtisch im »Gestringer Hof«.

An jedem ersten Donnerstag im Monat trifft sich dort von 19 Uhr an eine Interessengemeinschaft, inzwischen zum fünften Mal. »Anfangs waren wir sechs Leute. Jetzt kommen schon bis zu 30«, berichtet der 43-jährige gelernte Stahlbauschlosser. Er gehört der Deutschen Arachnologischen Gesellschaft (DeArGe) an. Der Spinnenkundler setzt sich für den Erhalt bedrohter Arten ein und will Menschen die Angst nehmen vor einem oft als unliebsam betrachteten Hausgenossen.
Am Stammtisch treffen sich Biologielehrer ebenso wie Terrarienfreunde aus großem Umkreis. Von Bückeburg bis Bünde kommen die Teilnehmer nach Gestringen, um Erfahrungen auszutauschen und ihr Steckenpferd mit anderen zu teilen. Die Interessengemeinschaft möchte mit Schulen und Kindergärten Kontakt aufnehmen, um so früh wie möglich den Kleinen zu zeigen: »Spinnen sind keine achtbeinigen Monster.« Deshalb liefern Krähling und seine Freunde auch viele Tipps, wie Anfänger mit wenig Mitteln Terrarien einrichten und Fehler vermeiden können, um die Freude am Hobby zu erhalten. »Eine Urangst vor Spinnen hat keiner«, meint der Naturfreund, »helfen kann dagegen Anschauungsmaterial.« Zwar gebe es aggressive Tiere, wie die asiatischen und afrikanischen Arten, doch Berührungsängste seien fehl am Platz.
»Meine Spinne hat nicht mehr gefressen. Jetzt liegt sie auf dem Rücken«, fürchtete jemand am Telefon den frühen Tod seiner zweijährigen »Mexikanerin«, die eigentlich bis zu 20 Jahre alt werden kann. »Sie will sich nur häuten«, beruhigte Krähling den Anrufer. »Tote Spinnen liegen nicht auf dem Rücken. Sie nehmen die Beine unter den Körper.« So genannte Spiderlinge häuten sich alle drei bis sechs Monate bis zum Erwachsenenalter, und später dauern die Intervalle bis zu zwei Jahren. Eine eindrucksvolle Haut, die Krähling gern Besuchern zeigt, ist das »Gehäuse« einer großen Vogelspinne. Ungern hört er den im englischsprachigen Raum benutzten Begriff »Tarantel«. Eigentlich bezeichne dieser eine Wolfsspinne aus der Region Tarent. Italienische Siedler hätten den Begriff in die USA gebracht.
Rund ein Dutzend selbst gebaute Terrarien aller Formate nennt Krähling, der in Rahden lebt, sein Eigen. Hier finden Leguane ein Zuhause, das Chamäleon oder auch die Königspython. Sie gehört seiner Freundin Michaela, die auch Stachelhaarmäuse züchtet. Wo in eigenen Terrarien argentinische Waldschaben oder Grillen als proteinreiches Futter für achtbeinige Gäste gezüchtet werden, muss schon auf allen Seiten ein gehöriges Interesse vorhanden sein. Selbst im Winter klingt es in der geheizten »Futterstube« wie am Mittelmeer, wo Heimchen und Zikaden ihr ständiges Konzert geben.
Und auch im Urlaub ist Nachsicht beim Partner gefragt: »Jeden Stein muss ich umdrehen«, gesteht der 43-Jährige. Auf den Wanderungen hat er manchen Skorpion entdeckt oder andere Arten einer großen Familie. Er erzählt von Wespenspinnen, die mit der Klimaveränderung aus Griechenland und Italien eingewandert sind, von giftigen Trichterspinnen Australiens oder der »Schwarzen Witwe«. Heimische Zitterspinnen gelten gleichfalls als giftig: »Aber sie schaffen es nicht, unsere Haut zu durchdringen.«
Am Stammtisch werden nicht nur Erfahrungen getauscht, auch Nachzuchten. Klaus-Peter Krähling hat als Sechsjähriger seine erste Vogelspinne gehalten, wohnte damals im Bergischen Land und holte sich Tipps im Wuppertaler Zoo. »Eine Grammostola rosea«, erzählt er stolz über seine erste Erwerbung mit Geschichte: Die Forscherin Sybille Merian, aufmerksamen Zeitgenossen noch vom Abbild auf alten Geldscheinen bekannt, hat die Vogelspinne (Aranea avis) einstmals mit ihren Zeichnungen bekannt gemacht.
Auch wer nicht tiefer einsteigen möchte in das Hobby der Terraristik, in dem die achtbeinigen Gesellen ihren festen Platz haben, kann Tipps der Arachnologen gebrauchen. »Wer Spinnen, um sie nicht zu töten, mit einem Gefäß aus dem Haus bringt, sollte sie mehr als 60 Meter entfernt aussetzen«, sagt Krähling. »Anderenfalls sind sie sofort wieder drin.« Warum sie so schnell ihren alten Platz wiederfinden, ist noch ungeklärt.
Informationen der Interessengemeinschaft des Rahdeners gibt es auch auf der nach einer Vogelspinnen-Art benannten Web-Seite:
urticans-city.de

Artikel vom 29.01.2005