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Der Schattenspieler
sucht weiter die Sonne

Michael Stich steht immer noch in der zweiten Reihe

Von Oliver Kreth
Hamburg (WB). Sie haben eigentlich viel gemeinsam: Beide haben in Mekka des weißen Sports gewonnen, wurden von Frauen aus der Luder-Fraktion über den Tisch gezogen und können auch als Senioren nicht vom Filzball lassen.

Machten Michael Stich und Boris Becker im vergangenen Jahr noch gute Miene zum Alt-Herren-Vor-Spiel in Halle, stichelt der zweite deutsche Wimbledonsieger wieder gerne gegen die Nummer eins. Grund für das verbale Aufleben alter Vorbehalte: die Tennis-Traditionsveranstaltung in seiner Heimat. Stich: »Ich habe immer wieder meine Mitarbeit am Rothenbaum angeboten und wollte meine Kontakte zur Verfügung stellen«, sagte der 36-Jährige: »Ich hätte ein Konzept, aber es ist nie der Versuch gemacht worden, mich einzubinden.«
Als Becker 2003 in Hamburg einstieg, war der Elmshorner noch intensiv eingebunden. So trat er mit dem dreimaligen Wimbledonsieger aus Leimen in einem »Daviscup-Revival« vor dem eigentlichen Turnier gegen die US-Altstars John und Patrick McEnroe an. Auch im Vorjahr stand Stich für das auf einen Tag verkürzte Spektakel gegen Österreich zur Verfügung. In diesem Jahr soll es nur noch ein Showmatch zwischen dem Chairman und John McEnroe geben. Stich: »Bei Beckers Einstieg wurde dieses PreEvent noch groß aufgebaut.«
Stich versteht außerdem schlicht nicht, warum der einstige Serve-and-Volley-Spieler so defensiv mit diesem ehemals so erfolgreichen Turnier umgeht: »Nur direkt auf der Anlage hängt Werbung aus. Dass das Turnier aber kein Selbstläufer mehr ist, zeigen doch die Kartenverkäufe auf dramatische Weise.« Dass es auch ganz anders gehe, demonstrierten die Verantwortlichen in Halle, meint der Sieger der Gerry Weber Open von 1994: »Wenn ich sehe, wie intensiv die Organisatoren dort das ganz Jahr über werben, und dann sehe, was in dieser Hinsicht am Rothenbaum passiert, kann ich nur den Kopf schütteln.«
Bei seinem verbalen Rundumschlag macht er auch vor seinen heimischen Politikern nicht halt: »Nach der Olympiabewerbung wird der Sport nicht mehr genug gepuscht. Von der versprochenen Nachhaltigkeit ist nichts zu merken. Das ist ein Trauerspiel. Zum Beispiel beim HSV Hamburg. Die Möglichkeiten, die der Sport in der Außendarstellung bietet, werden nicht wahrgenommen.«
Dort wollte man den Abiturienten mit der Fähigkeit, druckreif zu reden, eigentlich auch einbinden, doch »alle Funktionen, in denen ich für die Hamburger Außendarstellung zuständig war, sind mittlerweile auf Eis gelegt.«
Seine Gefühle gegen seinen Dauerkonkurrenten offensichtlich nicht. Denn Stich spielt immer noch im Schatten, Becker im Rampenlicht. Der Elmshorner leitet zwei Kliniken, kommentiert Wimbledon bei der BBC im Radio (»Das möchte ich noch weiter ausbauen«) und spielt bei 15 Tennisveranstaltungen mit. Sein ewiger Rivale macht mit Claudia Schiffer Werbung für einen deutschen Edelschneider, hat eine Sendung im DSF, seinen Firmensitz nach Zug verlegt und ist immer noch Dauergast bei Vip-Events.
Und was auch nicht gerade zur Heilung der Seelenwunden beiträgt: Als Stich 2004 das Finale der Grand Slam Champions Trophy vor den Gerry Weber Open gewann, feierte der Stadionsprecher den Verlierer Becker. Wie 1991 in Wimbledon. Stich machte in Halle zwar gute Miene zum verbalen Foul, aber seine Lust in Beckers langem Schatten zu leben - sie ist nicht größer geworden. Ganz im Gegenteil.

Artikel vom 02.02.2005