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LeitartikelZum Wahlgang im Irak

Sie nahmen
allen Mut
zusammen


Von Rolf Dressler
Menschen islamischen Glaubens - dies versichern deren geistliche und politische (Wort-) Führer gebetsmühlenartig - sei es nicht erlaubt, im Namen Allahs Gewalt anzuwenden. Das muss jeder als blanken Zynismus empfinden, der wachen Sinnes die Wirklichkeiten wahrnimmt.
Denn ob in Algerien oder dem Sudan, in Indonesien, Afghanistan, Tschetschenien, auf dem Balkan oder in Nigeria: Dort und an vielen anderen Schauplätzen grausamster Machtkämpfe erheben fanatisierte Moslems ihre Waffen häufig blindwütig sogar auch gegen die eigenen Glaubens-»Brüder« und »Schwestern«. Im Falle des Falles also machen sie nicht einmal einen Unterschied zwischen Menschen des islamischen Kulturkreises und den verhassten, dekadenten »Westlern«, die sie als »Ungläubige« verachten.
Gerade auch vor diesem bizarren Hintergrund ist es eine große Überraschung, dass wahrscheinlich mindestens 60 Prozent der Iraker am Sonntag zu den Wahlurnen gegangen sind - ungeachtet der allgegenwärtigen Bedrohung von Leib und Leben durch heimtückischen Bombenterror. Es will wahrlich etwas heißen, wenn Millionen Menschen, die bislang ausschließlich das brutale Joch der Tyrannei durchleiden mussten - über Jahrzehnte namentlich in Gestalt Saddam Husseins und seiner Schergen -, nun ihren ganzen Mut zusammennehmen, um zum ersten Mal überhaupt frei wählen zu können.
Das allein hat schon außerordentliches Gewicht. Und zwar unabhängig davon, wem im einzelnen die Stimmen nach der Endauszählung zufallen werden. Denn der Verlauf dieses Wahlganges dürfte richtungweisend dafür sein, ob der Irak überhaupt auch nur im Ansatz den langen Weg in Richtung Demokratisierung beschreiten wird.
Auf einem ganz anderen Blatt indes steht, was daraus an Positivem für die arabische Region und die islamische Welt im ganzen erwachsen könnte. Das wiederum führt vor allem auch die Europäische Union unausweichlich zu der Schlüsselfrage, wie denn wohl die gänzlich islamische Türkei eine tragfähige Brückenfunktion zwischen den freiheitlichen Demokratien und dem Orient wahrnehmen könnte. Ein Land wohlgemerkt, dessen politische Führung mitsamt dem Militär offen erwägt, in den Nord-Irak einzumarschieren, wenn dort die Kurden die Stimmenmehrheit erreichen sollten - und von dem etwa der CDU-Politiker Volker Rühe dennoch ernsthaft sagt, es erfülle alle Bedingungen für den Beitritt zur EU.
PS. In der »Frankfurter Rundschau« vom 22. Januar 2005 fand sich übrigens die folgende besonders ätzende Leserzuschrift. »Zwischen US-Präsident George W. Bush und Saddam Hussein gibt es zwei Unterschiede: 1. Hussein war eine Gefahr - Bush ist eine Gefahr. 2. Hussein war eine Gefahr für das Volk der Iraker - Bush ist eine Gefahr für die ganze Menschheit...«
Infamie pur. Wider besseres Wissen.

Artikel vom 31.01.2005