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Eindringlicher Appell: »Dies
darf niemals wieder geschehen«

Mahnende Worte von Überlebenden und Politikern in Auschwitz

Oswiecim (Reuters). Überlebende der NS-Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau haben gestern mit Spitzenpolitikern aus aller Welt der Befreiung der Todeslager in Polen vor 60 Jahren gedacht. »Ich möchte den Menschen in aller Welt sagen - dies darf niemals wieder geschehen«, mahnte Anatoli Schapiro, Kommandeur der sowjetischen Truppen, die am 27. Januar 1945 als erste das Todeslager Auschwitz erreichten. Mit Tränen in den Augen nehmen die drei Überlebenden gestern an der Gedenkfeier im NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau teil. Sie waren am 27. Januar 1945 von sowjetischen Truppen befreit worden.
»Ich sah die Gesichter der Menschen, die wir befreiten - diese Menschen waren durch die Hölle gegangen«, sagte Schapiro über eine Video-Schaltung aus den USA bei einer Gedenkveranstaltung im polnischen Krakau. Bundespräsident Horst Köhler rief zum weltweiten Kampf gegen Antisemitismus und Völkermord auf.
Israels Präsident Mosche Katzav nannte den Holocaust »ein Versagen der gesamten Menschheit.« Die europäischen Staatschefs mahnte er, die Jugend über die Wahrheit des Holocaust aufzuklären und wachsam vor einem neuem Antisemitismus und vor Neonazis zu sein.
Neben 30 ranghohen Regierungsvertretern aus aller Welt nahmen auch zahlreiche Überlebende des deutschen Konzentrationslagers an der zentralen Gedenkfeier in Auschwitz teil. Einige wurden von jüngeren Angehörigen gestützt. Wie bei der Befreiung vor 60 Jahren fiel auch während der Zeremonie Schnee. »Der Schnee fiel damals wie heute, wir waren in der gestreiften Häftlingskleidung, und einige von uns waren barfuß«, berichtete der 84-jährige Kazimierz Orlowski, einer der Überlebenden und befreiten Opfer des Nazi-Terrors.
In Auschwitz und dem dazugehörigen Lager Birkenau, der schlimmsten Todesmaschinerie der deutschen Nationalsozialisten, kamen nach Schätzung der Historiker bis zu 1,5 Millionen Menschen um, in der Mehrzahl Juden, aber auch Polen, Russen, Sinti und Roma und Homosexuelle.
An der Gedenkstätte Oswiecim (Auschwitz) 70 Kilometer von Krakau entfernt entzündeten unter anderem die Staatschefs Polens, Israels, der USA, Russlands, Frankreichs und Deutschlands gemeinsam mit Überlebenden Kerzen zu Ehren der Opfer. »Ich bin nicht hier, um darüber zu sprechen, was geschehen ist«, sagte der ehemalige Auschwitz-Häftling Jan Wojciech Topolewski, dessen Mutter in dem Lager starb. »Mein einziges Ziel ist es, eine Kerze für meine Mutter anzuzünden, deren Asche wer weiß wo in diesem Lager liegt.«
Bundespräsident Köhler sagte nach einem Rundgang durch das ehemalige KZ: »Wir haben den Auftrag, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht mehr wieder passiert.« Er forderte zum Engagement gegen Antisemitismus auf: »Wer Auschwitz gesehen hat, muss wissen, dass man dagegen aktiv angehen muss.« Für ihn sei eine Lehre aus dem Holocaust auch der Einsatz gegen Völkermord in aller Welt: »Ich finde, der Auftrag für heute ist dafür zu sorgen, dass sich Dinge wie in Ruanda oder anderen Stellen nicht mehr wiederholen.«
Sichtlich bewegt sagte Köhler nach dem Rundgang: »Es ist der größte Friedhof für Juden, für Polen, für Roma und Sinti.« Er mahnte, die Gräueltaten nicht zu vergessen. »Wir müssen denjenigen, die danach geboren sind, die Erinnerung an das größte Verbrechen der Menschheit wachhalten.«
Israels Präsident Katzav erneuerte den Vorwurf, eine Bombardierung der nach Auschwitz führenden Eisenbahnlinien, die damals trotz Wissens der Alliierten um die Todeslager unterblieb, hätte viele Menschenleben retten können. Der Holocaust sei deshalb nicht nur allein eine Tragödie des jüdischen Volkes. »Er ist ein Versagen der Menschheit insgesamt«, sagte er.

Artikel vom 28.01.2005