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Zukunft liegt im Tourismus
Nessebar in Bulgarien hofft auf weitere Gäste aus dem Ausland
Da können die Menschen in der Hauptstadt Sofia, im kulturträchtigen Rila-Gebirge oder rund um den Partystrand von Zlatni Pjasaci (»Goldstrand«) nur neidisch schauen: Die Kleinstadt Nessebar am Schwarzen Meer ist Bulgariens reichste Gemeinde.
Kein anderer Ort hat so sehr vom Ende des Sozialismus und der Einführung einer freien Marktwirtschaft profitiert, denn Nessebar verfügt über eine einzigartige Infastruktur: Wenige Kilometer entfernt liegen Hafen und Flughafen von Burgas -Êund zum Stadtgebiet gehört auch der Badeort Slancev Brjag, in Deutschland auch als »Sonnenstrand« vermarktet.
Nessebar ist aber auch aus anderen Gründen einzigartig: Die Lage auf einer Halbinsel -Êdie Verbindung zum Festland besteht nur aus einem schmalen DammÊ-Êund die historische Bausubstanz machen den Ort zu einem touristischen Kleinod. Kaum ein Urlauber am Schwarzen Meer, der nicht einen Tagesausflug dorthin macht. Auch Kreuzfahrtschiffe liegen immer wieder im Hafen und entlassen ihre Passagiere für einen mehrstündigen Landgang.
Eine restaurierte Windmühle grüßt die Besucher, die zunächst durch den auf dem Festland liegenden modernen Ortsteil gefahren sind. Schon dort lässt sich feststellen, dass der Lebensstandard in Nessebar durchaus mit dem in der Türkei vergleichbar ist. 900 Meter lang und 350 Meter breit -Êauf dieser Fläche gab es im Mittelalter mehr als 80 Kirchen und Kapellen, von denen viele noch erhalten sind, wenn auch nur als Galerie oder Museum. Da Bulgarien lange Zeit unter osmanischer Herrschaft stand und die Türken die christliche Religionsausübung nur unter Einschränkungen erlaubten, mussten Kirchen äußerlich sehr schlicht gebaut werden und durften zudem eine gwisse Höhe nicht überschreiten. Die Einwohner von Nessebar bedienten sich eines Tricks, um trotzdem repräsentative Gotteshäuser zu bauen -Êsie verlegten den Fußboden auf die Höhe des Kellergeschosses. So wirken die Kirchen von innen wesentlich größer, als das Stadtbild es vermuten lässt.
Strenge Vorschriften führten auch dazu, dass im Ort der sogenannte Wiedergeburtsbaustil erhalten blieb, bei dem der Sockel und das Erdgeschoss aus Stein, der Rest darüber dann aus Holz errichtet wurde. Typisch für Nessebar sind auch Häuser mit horizontalen, rot-weißen Streifen. Charakteristisch sind weiterhin die geschnitzten Holzdecken, die weißen Wände, die Erker und die kleinen romantischen Höfe mit großen Holztoren.
Man kann es den Menschen, die so lange unter sozialistischer Herrschaft leiden mussten, nicht verdenken, dass sie nun relativ ungehemmt vom Tourismus profitieren wollen. Kaum ein Haus, welches sich nicht zum Geschäft verwandelt hat. Die (für Ver- wie Einkäufer strafbare!) Markenpiraterie feiert fröhliche Urständ' -Ê von der gefälschten Rolex-Uhr für 18 Lew (umgerechnet neun Euro) über das Lacoste-Polohemd (25 Lew) bis hin zu den neuesten Kinofilmen als DVD-Raubkopie. Daneben findet sich eine erstaunliche Restaurant-Vielfalt. Die reicht von den typisch bulgarischen Spezialitäten wie dem Bauernsalat mit geriebenen Schafskäse, frischem Fisch, in Sesam panierten Hühnchenstücken und Fleischspießen über das erste tschechische Restaurant Bulgariens bis hin zum »Bayerischen Hof«, der stilecht von einem Gemälde König Ludwig des II. geziert wird.
Unmittelbar an die Neustadt von Nessebar grenzt eine acht Kilometer lange Bucht mit feinem Sandstrand. Slancev Brjag, auch als »Sonnenstrand« bekannt, ist einer von vier bedeutenden Badeorten an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Etwa 130 Hotels stehen dort, sie gehören in der Regel den Einheimischen. Viele von ihnen wurden mit Finanzmitteln europäischer Reiseveranstalter saniert. Ob TUI, 1-2-Fly, Neckermann oder ITS -Ê Slancev Brjag gilt als ideales Preiswert-Ziel für Familienurlaub. Das klare Wasser ist nicht tief - man kann durchaus 100 Meter und mehr ins Meer laufen. Das Strandgebiet ist durch eine Schranke vom Verkehr getrennt, Zufahrt erhalten nur Busse und Hotelgäste, die mit dem Auto anreisen.
Reiche Bulgaren und auffallend viele Briten kaufen sich dort Ferienwohnungen, das Immobiliengeschäft boomt. Aber auch viele Israelis kommen, die ebenfalls durch die günstigen Preise angelockt werden. 1,4 Millionen Pauschalreisende werden dieses Jahr in Bulgarien erwartet. Thomas Albertsen

Artikel vom 12.02.2005