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Leitartikel
Gedanken übers Gedenken

Wer gelernt hat - und
wer nicht


Von Rolf Dressler
Die Mahnung »Nie wieder Auschwitz« steht außerhalb jeder Diskussion. Sechs Jahrzehnte danach und für alle Zeit. Das ge- bietet das Gedenken an jedes einzelne Opfer. Menschen, die ihre Sinne beisammen haben, deuteln daran nicht herum.
Leider völlig anders verhält es sich mit einer Mahnung, die eher einer hohlen Beschwörungsformel gleicht: Nie wieder Krieg! Was bleibt in der Welt-Alltagswirklichkeit denn tatsächlich übrig von jenem erdumspannenden Versprechen, das die Völker sich unter dem Eindruck der beiden verheerenden Waffengänge des 20. Jahrhunderts in der Stunde Null des Jahres 1945 gaben?
Nach wie vor durchleben abermillionen Menschen unvorstellbare Qualen, müssen panisch flüchten vor Bomben und Kanonenfeuer, um das nackte Leben zu retten - das Allerletzte, was sie noch haben.
Brutalste Stammes»fürsten« führen vielerorts mit Mörderbanden-Armeen entsetzliche Vernichtungsfeldzüge. Grausame Tyrannen wie der Iraker Saddam Hussein, Pol Pot in Kambodscha und finstere Schlächter auf dem Schwarzen Kontinent Afrika hinterlassen Blutspuren ohne Ende. Massenmorde, Völkermorde, hier aus ethnischen, dort aus politisch-religiösen niederen Beweggründen. Islamistischer Terror an ungezählten Brennpunkten.
Selbst das angeblich ganz neue Russland unter dem verniedlichend so genannten »System Putin« führt Krieg in Tschetschenien. Das Pulverfass Nahost ist kei- neswegs entschärft. Die noch im- mer tief verfeindeten Völkerschaften auf dem Balkan, mitten in Eu- ropa also, wären wohl längst wie- der übereinander hergefallen, würden sie nicht von internationalen Friedenstruppen rigoros in Schach gehalten. Soeben droht zudem die Regierung des EU-Anwärters Türkei unverhohlen mit Krieg für den Fall, dass die Kurden bei den bevorstehenden Wahlen die Vorherrschaft im Nord-Irak gewinnen sollten. Den eigenen Völkermord an den Armeniern von 1916/17 aber kehrt die Türkei tief unter den Teppich.
Nie wieder Krieg? Eine Vision wird wie eh und je tagtäglich in den Staub getreten. Allein Hitlers Großverbrechen an den Juden wird »den« Deutschen als »einzigartig« angekreidet. Andere Völker denken gar nicht daran, sich für ebenfalls jeweils einzigartige Großverbrechen wie die oben aufgezählten in Haftung nehmen zu lassen.
Zum Beispiel auch nicht für die Untaten der glorreichen russischen Oktoberrevolutionäre Lenin und später Stalin, denen bereits in den 1920er/1930er Jahren fast 20 Millionen Menschen (!) zum Opfer fielen, also noch bevor der Stalin-Todfeind Hitler in Deutschland sein Nazi-Regiment errichtete.
Wir Deutschen haben Buße ge- tan und unsere Lektion nachweislich gelernt. Dennoch wird ausschließlich bei uns auch jetzt wie- der »kollektive Verantwortung« eingefordert für »die Verbrechen Hitlers und der Nazis«. Und zwar ausdrücklich auch von allen künftigen Nachgeborenen.
Verantworten aber kann der Mensch nur, was er selbst getan hat.

Artikel vom 29.01.2005