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Die Studierenden in NRW
fürchten den Domino-Effekt

Rektorenkonferenz: Gebühren an bestimmte Fächer knüpfen

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Studiengebühren sollen nicht allgemein, sondern abhängig von Fächern erhoben werden. Das hat gestern die Hochschulrektorenkonferenz in Bonn als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorgeschlagen.

Die Generalsekretärin des Dachverbandes der Universitäten und Hochschulen, Christiane Ebel-Gabriel, sagte dieser Zeitung: »Es ist sinnvoll, nach Studiengängen zu differenzieren. Hochschulen sollten die Möglichkeit haben, für stark nachgefragte Fächer Gebühren zu erheben, für weniger ausgelastete nicht.«
Ebel-Gabriel warnte die Länder davor, die Hochschulen zu bloßen Erfüllungsgehilfen zu degradieren. Den Universitäten sei am besten gedient, wenn sie flexibel über die Verwendung der Gebühren entscheiden könnten. Die Länder müssten lediglich für eine einheitliche Höhe der Gebühren sorgen. Die Spanne von 500 bis maximal 700 Euro pro Semester hält die Generalsekretärin für eine zumutbare Belastung der Studierenden.
Studiengebühren seien kein Allheilmittel, sondern lediglich ein »Zuschuss zur Verbesserung der Qualität der Lehre«. Deshalb dürften sich die unter leeren Kassen leidenden Länder nach der Einführung von Studiengebühren »nicht aus der Verantwortung für die Grundfinanzierung stehlen«.
Das der Bertelsmann Stiftung angegliederte Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh begrüßte das Urteil des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts. »Damit ist ein zentrales Hindernis für eine gute Ausbildung an deutschen Hochschulen beseitigt worden«, sagte Projektleiter Frank Ziegele. Innerhalb eines vom Land festgesetzten Rahmens sollten die Hochschulen über die Höhe der Gebühren selbst bestimmen können. Allerdings dürfe das nicht dazu führen, dass Abiturienten aus sozial schwächeren Schichten abgeschreckt würden. Als sozialverträgliche Lösung schlägt das CHE Darlehen mit einkommensabhängiger Rückzahlung vor. Ziegele kündigte für Mitte Februar eine Initiative mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft an.
»So lange kein angemessenes Stipendien- und Darlehenssystem erkennbar ist, halte ich Studiengebühren für kontraproduktiv«, erklärte der Rektor der Uni Bielefeld, Dieter Timmermann. Sein Paderborner Kollege Nikolaus Risch mahnte sozialverträgliche Regelungen an. Würden in NRW Studiengebühren eingeführt, »müsste gewährleistet sein, dass die Chancengleichheit für Studierwillige gewahrt bleibt.« Von einem »schwarzen Tag für die betroffenen Studierenden und für das gesamte Bildungssystem« sprach die Doppelspitze des AStA der Universität Bielefeld, Ingo Bowitz und Emine Ergin. Obwohl die Organisation für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) mehr Akademiker anmahne, werde das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dafür sorgen, dass weniger Abiturienten studieren. Bowitz und Ergin erwarten, dass die Zahl der Studierenden in Bielefeld (17500) steigen wird, weil angehende Akademiker aus dem CDU-regierten Niedersachsen nach NRW ausweichen, um Gebühren zu entgehen. »Wir werden den Bildungstourismus spüren«, sagte Bowitz dieser Zeitung.
Die Argumentation, dass Studiengebühren über eine verbesserte Sach- und Personalausstattung der Universitäten den Studierenden zugute kommen, bezeichnete er als trügerisch und verwies auf Australien: »Dort haben die Universitäten im Schnitt das an Zuschüssen weniger erhalten, was sie durch die Studiengebühren einnahmen.« Das Bielefelder Studentenparlament hat Angst vor dem »Dominoeffekt«. Die Versuchung, durch Studiengebühren den Haushalt zu sanieren, könne auch das Land Nordrhein-Westfalen schwach werden lassen.
»500 Euro pro Semester stellen für den Großteil der Studierenden eine erhebliche Belastung dar«, sagte der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde dieser Zeitung. 46 Prozent hätten monatlich weniger als 700 Euro zur Verfügung. Viele Studierende würden künftig länger jobben. Jede Stunde Erwerbstätigkeit senke erfahrungsgemäß die Zeit fürs Studieren um eine halbe Stunde. Das Studentenwerk sagt »Wanderungsbewegungen« in Bundesländer ohne Gebühren voraus.

Artikel vom 27.01.2005