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Spannendes über Israel und Palästina: Prof. Dr. Friedmann Büttner und Seminarleiterin Sabine Venker erläuterten die aktuelle Situation.

»Vergessen und vergeben notwendig«

»IX. Politische Winterakademie«: Professor Dr. Friedmann Büttner über Nahostkonflikt

Sennestadt (ho/WB). Vor »so einem Kreis« habe er noch nicht gesprochen, habe zunächst sogar »ein wenig Bammel« gehabt. Dr. Friedmann Büttner, Professor für Politik und Zeitgeschichte des Vorderen Orients am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, traf bei der »IX. Politischen Winterakademie für ältere Menschen« im Sennestädter »Haus Neuland« auf ein gut informiertes und vor allem auch neugieriges Publikum.
Etwa 30 Teilnehmer unterschiedlicher Herkunft und Bildungsabschlüsse beschäftigten sich in der Heimvolksschule am Senner Hellweg mit dem Thema »Der Nahostkonflikt: Auslöser für einen neuen Antisemitismus?«.
Seminarleiterin Sabine Venker hatte das Seminar gut vorbereitet. Ein Film über Israel und Palästina sowie Kartenmaterial verdeutlichte den Akademieteilnehmern aus ganz Nordrhein-Westfalen die momentane Lage im Nahen Osten. Schnell waren Stichworte niedergeschrieben, von den biblischen Anfängen bis zur Neuzeit. Viele der Teilnehmer kannten Israel durch eigenes (Reise-) Erleben, waren durch die dort gewonnenen Eindrücke neugierig geworden und wollten ihr Wissen vertiefen. Und das gelang Professor Dr. Friedmann Büttner, der jeweils die »politischen Interessen Israels« und die von Palästina historisch und aktuell beleuchtete, einfühlsam und aufschlussreich.
Zentrale Thesen des Referenten: Der Nahost-Konflikt ist ohne die Einbeziehung der geschichtlichen Traumata beider Seiten weder zu verstehen noch zu lösen: Auf der einen Seite die jahrhundertealte Verfolgungsgeschichte des jüdischen Volkes, die im Holocaust gipfelte. Auf der anderen Seite die mit Kreuzzügen und Kolonialismus verbundenen Erfahrungen, 1948/49 gipfelnd in die Gründung eines israelischen Staates, die von den Palästinensern als Al-Nakbah (Katastrophe) wahrgenommen wurde. Gleichzeitig aber ist für die Lösung des Konflikts gerade auch ein wechselseitiges Vergessen und Vergeben notwendig.
Zitat Moshe Zuckermann (israelischer Sozialwissenschaftler): »Israelis müssen lernen, statt "Das darf uns nie wieder passieren", zu denken: "Das darf nie wieder passieren«. Zitat Edward Said (kürzlich verstorbener arabischer Kulturwissenschaftler): »Wir müssen den Holocaust verstehen und einbeziehen, sonst können wir uns nicht adäquat verhalten«.
Die im Rahmen des Oslo-Prozesses anvisierten Gebietsaufteilungen im Westjordanland sind für die Palästinenser keine akzeptable Lösung: zu große Zersplitterung, zahlreiche Checkpoints und andere Behinderungen, Ausklammerung von Jerusalem. Erst die Verhandlungen von Taba und das Genfer Abkommen von 2003 bieten eine wirkliche Lösungsmöglichkeit, weil so insgesamt etwa 98 Prozent des Westjordanlandes zurückgehen an die Palästinenser, ein einheitliches Staatsgebiet möglich ist und auch für Jerusalem eine Lösung vorgeschlagen wurde.
Die Teilnehmer »löcherten« den Referenten mit Fragen:
l Welche Grenzen sind möglich für zwei Staaten?
l Was ist mit Jerusalem?
l Wie sieht es mit dem Wasser aus?
l Wie kann die Flüchtlingsfrage geregelt werden?
l Welchen politischen Einluss haben die USA?
l Welche Rolle spielen die arabischen Staaten?
l Ist ein UN-Mandat sinnvoll?
l Wie kann die Gewaltspirale unterbrochen werden?
l Unterschiedliche Einschätzungen über den Friedenswillen auf beiden Seiten: Wollen Hamas, Dschihad und Hisbollah nach wie vor »die Israelis ins Meer treiben« oder ist mit ihnen eine Zweistaatenlösung möglich?
l Ist Israel bereit, Siedlungen aufzugeben und Gebiete zurückzugeben?
Nach Ansicht von Prof. Büttner steigen mit dem Arafat-Nachfolger Abbas die Möglichkeiten einer friedlichen Lösung. Er werde von der israelischen Seite als Verhandlungspartner akzeptiert und sei auch immer schon an den Verhandlungen der letzten Jahre beteiligt gewesen.
Prof. Dr. Büttner hält sowohl die Israelis für friedenswillig als auch die Hamas für reformfähig. »Beiden Seiten ist klar, dass die Gewaltspirale durchbrochen werden muss«. Arafats Nachfolger Mahmud Abbas setze mit seinem Streben nach einer friedlichen Lösung des Nahost-Konflikts Zeichen, die Israelis seien zur Rückgabe bestimmter Gebiete bereit, auch wenn dort durch Siedlungen im Laufe der Jahre Tatsachen geschaffen worden seien.
Einen religiösen Pluralismus zum Beispiel in Jerusalem kann sich Prof. Dr. Büttner durchaus vorstellen. Er verwies in diesem Punkt auf die Gemeinsamkeiten des Monotheismus und eines großen Teils der Überlieferungsgeschichte.
Kritische Anmerkungen zur Politik Israels könne nicht pauschal als antisemitisch »abgekanzelt« werden, ging der Referent auf häufig geäußerte Meinungen ein. Gleichfalls müssten die Ergebnisse von empirischen Untersuchungen (Umfragen usw.) in Europa beachtet werden. »Danach kommt es häufig vor, dass antisemitische Stereotype in den "Schafspelz" einer vermeintlich sachlichen Israelkritik gekleidet werden«.

Artikel vom 28.01.2005