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Rebell im verstaubten Theater
Zu Ehren eines großen Dichters: ARD verfilmt zum 200. Todestag das Leben von Friedrich Schiller
Zum 200. Todestag von Friedrich Schiller im Mai dieses Jahres hat das Erste einen Fernsehfilm produziert. Der 23-jährige Matthias Schweighöfer spielt den 22-jährigen Dichter-Rebellen, der mit großen Idealen das verstaubte Theater aufmischte. Ein Besuch bei den Dreharbeiten im Ludwigsburger Schloss.
Die Zigaretten stören das Bild, Dass hier jemand raucht, passt einfach nicht zu dem zartgelben Säulengang, dem weißen Stuck an der Decke, den gepuderten Gesichtern, den Spitzenhemden und den mit Gold bestickten Westen. Beinahe hätte die Gruppe von Statisten ausgesehen wie eine Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, in die man unversehens hineinplatzt, auf der Suche nach dem kleinen Theater, das irgendwo im Innern des weitläufigen Barockschlosses von Ludwigsburg versteckt sein muss.
Es ist 9 Uhr, ein klarer und grauer Morgen, gleich beginnt der 24. Drehtag für den Film »Schiller«. Jürgen Tarrach kommt in Kniebundhose und Schnallenschuhen aus dem Lastwagen-Container, in dem die Maske untergebracht ist. Eine imposante, füllige Erscheinung. Die weiße Perücke steht ihm, als wäre er sonst nicht in »Tatort«-Krimis im Einsatz, sondern immer schon der Mannheimer Theater-Intendant Dalberg gewesen, der 1782 Schillers Erstling »Die Räuber« zur Uraufführung brachte. Wie schafft er die Verwandlung? »Das ist ja eben das Interessante, dass die Menschen sich über die Jahrhunderte nicht wirklich verändern«, meint Tarrach.
Genau darum wird es heute gehen: jene 200 Jahre zu überbrücken, die uns von Schiller trennen, uns eine Zeit ganz frisch und neu zu zeigen. Als würde alles gerade erst passieren, als wäre noch nicht entschieden, dass Friedrich Schiller einmal als einer der größten deutschen Dichter gelten wird. Schillers Anfänge als gerade 22 Jahre alter Autor sind das Thema dieses Films, dessen letzte Szenen hier, im Ludwigsburger Schlosstheater, gedreht werden. Im Mai, zu Schillers 200. Todestag, will ihn die ARD zeigen.
Die historische Wendeltreppe führt hinauf zum Set. Das kleine Barocktheater ist ideal, um eine Aufführung im Mannheimer Nationaltheater nachzuspielen: Dort schaut sich der junge Schiller ein Stück seines schärfsten Konkurrenten Iffland an. Der original erhaltene Bühnenraum muss dafür gar nicht umgebaut werden - Kronleuchter, Logen, Kulissen, alles ist da.
Was fehlt, ist die Heizung. Aber auch das ist original. Wegen der Brandgefahr darf die Kerzenbeleuchtung, die zu Schillers Zeiten vielleicht noch etwas Wärme gespendet hat, nicht angezündet werden. Trotz Strickjacken und Wolldecken steht die Schauspieler-Truppe fröstelnd vor dem Szenenbild. Ihre luftigen Dekolletées zeigen die Damen erst im letzten Moment, kurz bevor die Kamera läuft.
Gespielt wird ein Erfolgsstück der 1780er Jahre von Iffland, dem damaligen Star am Mannheimer Theaterhimmel. »Ihr müsst euch das ungefähr so vorstellen wie RTL2 vor 200 Jahren«, erklärt der Produktionsleiter den Statisten, die den Zuschauerraum füllen und Beifall klatschen sollen. Die Truppe auf der Bühne spielt einen rührseligen Schinken, und zwar so schlecht es geht, hölzern und klischeehaft. Eine Seifenoper in Kostümverkleidung.
Zum Glück ist Schiller auch noch da. Er hat rote Haare, die zerwuschelt um seinen Kopf herumstehen, er hat wache Augen und ist als einziger nicht steif und künstlich. Er sitzt ja auch, schön warm in Daunenjacke und Moonboots, die Hände tief in den Taschen vergraben, oben im ersten Rang des Theaters. Dort übt Matthias Schweighöfer den spöttischen Blick mit dem Schiller später - im Film - die Darbietung der Schauspieler unten betrachten wird. Schweighöfer kann das gut. Bei aller Verachtung sieht er amüsiert aus, als würde er sich diebisch freuen über das grottenschlechte Werk des Kollegen. Jungenhaft irgendwie - ein Ausdruck, den man mit Friedrich Schillers großem Dichterruhm nicht unbedingt verbinden würde.
Ohnehin kann man sich ja Schiller schwer als lebendigen Menschen vorstellen. Wie soll das aussehen: ein von hohen Idealen beseelter, im Pathos großer Ideen schwelgender Dichter? Ein Genie? »Mit dem Begriff Genie kann ich sowieso gar nichts anfangen«, sagt Schweighöfer. Also versucht er gar nicht erst, es darzustellen. Sein Schiller ist vor allem eines: jung. Und voller Energie, ein Nachwuchstalent kurz vor dem großen Durchbruch - und darin dem Schauspieler Schweighöfer nicht unähnlich, der mit dem Film »Soloalbum« bekannt wurde und demnächst in »Kammerflimmern« zu sehen ist.
Äußerlich haben die beiden wenig Ähnlichkeit: Schweighöfer ist weder groß noch hager und hat auch keine lange, strenge Nase, wie wir sie von Schiller-Porträts kennen. Und dennoch denkt man unwillkürlich: Das könnte er gewesen sein. Liegt es am Blick? Direkt und unbeirrt sieht Matthias Schweighöfer sein Gegenüber mit grau-grünen Augen an. Er hat eine Entschlossenheit, wie sie der junge Friedrich Schiller ausgestrahlt haben muss. Man fragt sich auch: Ist der nicht ein bisschen zu überspannt?
Matthias Schweighöfer hat Biographien durchgearbeitet, um sich auf seine große Rolle vorzubereiten. Jetzt redet er über den Dichter wie über einen bewundernswerten Kollegen: »Das war James Dean damals, 1782! Es war am Anfang schwer, sich das vorzustellen. Aber dann begreift man, warum der nicht anders konnte. Jemand, der keine Grenzen kennt, der immer weitermarschiert - denn es gibt wichtige Dinge zu tun!«
Vorerst allerdings gibt es für Schiller gerade nicht viel zu tun. Die Szene beim Theater frisst Zeit, eine halbe Stunde nach der anderen vergeht mit Proben, Aufnahmen, Wiederholungen. Dann ist alles im Kasten - und geht von vorne los: Jetzt werden die Statisten gefilmt, wie sie klatschen und Blumen werfen.
Im Hintergrund müssen die Schauspieler ihr Stück zum x-ten Mal abspulen, damit Ton und Timing stimmen. Dazwischen immer wieder warten: bis die Beleuchtung nachjustiert ist, die Schminke aufgefrischt, verrutschte Mikrofone neu verklebt sind. Und dann ist erst mal Pause. In der Garderobe gibt es Tee und belegte Brote.
Inzwischen ist es vier Uhr nachmittags. Der Zeitplan hat schon drei Stunden Verspätung. Bis acht wird der Drehtag mindestens noch dauern, wahrscheinlich länger. Schiller muss sein neues Stück präsentieren - er will als Hausdichter ans Nationaltheater berufen werden. Langsam bekommt man eine Vorstellung davon, wie zäh dieser Aufstieg gewesen sein muss.
Aber natürlich wird Matthias Schweighöfer das durchsetzen. Friedrich Schiller hat schließlich noch ganz andere Strapazen ausgehalten, trotz Tuberkulose in der Lunge, ständiger Geldnot und der Angst, ins Gefängnis zu wandern; im Kampf mit den Mächtigen, in Konkurrenz mit Kollegen. »Und dabei hat er immer im Blick gehabt, was er für die Ewigkeit schreiben muss!«, sagt Matthias Schweighöfer bewundernd.
Das soll ihm heutzutage erst mal einer nachmachen! Sophie von Glinski

Artikel vom 12.02.2005