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Mittel gegen Neonazi-Demos

Schärferes Versammlungsrecht - Schröder begrüßt Schilys Gesetzentwurf

München/Berlin (ddp/dpa). Die rot-grüne Bundesregierung plant als Mittel gegen Neonazi-Aufmärsche eine Präzisierung und Einschränkung des Versammlungsrechtes.
Ein Sprecher von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) bestätigte einen entsprechenden Bericht der »Süddeutschen Zeitung«. Die Initiative gehe auf die Innenministerkonferenz (IMK) zurück und sei schon länger in Vorbereitung.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Demonstrationen und Versammlungen auch dann verboten werden können, wenn »nach erkennbaren Umständen zu erwarten ist, dass in der Versammlung nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlicht oder verharmlost wird«. Ferner sollen künftig Neonazi-Demonstrationen an einem Ort verboten werden, der »an die Opfer einer organisierten menschenunwürdigen Behandlung erinnert und als nationales Symbol für diese Behandlung anzusehen ist«.
Der eine Komplex bezieht sich etwa auf die traditionellen Kundgebungen von Neonazis am Grab des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß in Wunsiedel. Der zweite Komplex betrifft vor allem das neue Holocaust-Mahnmal in Berlin sowie in der Zukunft das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma, das auch nahe dem Reichstagsgebäude entstehen soll. Der Ministeriumssprecher sagte, es gehe einerseits darum, den »inneren Frieden« abzusichern und andererseits darum, Verstöße gegen die Menschenwürde von Nazi-Opfern zu verhindern. Die eine Regelung könne an vielen Orten greifen, die andere sei auf sehr wenige Orte begrenzt. Anlass für die Gesetzesinitiative waren Neonazi-Demonstrationen mit Reichskriegsflagge am Brandenburger Tor in Berlin.
Skeptisch äußerte sich der Schily-Sprecher zu Forderungen nach einer Ausweitung der Bannmeile in Berlin, um Neonazi-Aufmärsche an prominenten Orten zu unterbinden. Die Bannmeile habe den Sinn, die Funktionsfähigkeit der demokratischen Institutionen zu sichern. Eine Demonstration am Holocaust-Mahnmal ziehe die Funktionsfähigkeit des Bundestages aber nicht automatisch in Mitleidenschaft.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) befürwortet ein strengeres Versammlungsrecht bei rechtsextremen Aufmärschen. Für den Kanzler sei es selbstverständlich, dass die Demokratie das »schändliche Treiben« von Nazis in der Öffentlichkeit nicht tatenlos hinnehmen könne, sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, hat erhebliche rechtliche Vorbehalte gegen ein verschärftes Versammlungsrecht angemeldet. »Einem neuen Verbotstatbestand stehe ich sehr skeptisch gegenüber«.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hartmut Koschyk, und der Obmann der Union im Bundestagsinnenausschuss, Thomas Strobl, nannten eine Reform des Versammlungsrechts seit langem notwendig und aus Gründen der politischen Hygiene unausweichlich. Sie forderten Schily auf, das Gesetzgebungsverfahren umgehend einzuleiten.
Die FDP zweifelt an der Notwendigkeit einer Verschärfung des Versammlungsrechtes. FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt forderte Schily auf, darzulegen, warum nach seiner Meinung das bestehende Versammlungsrecht für ein Verbot der NPD-Demonstration am 8. Mai am Brandenburger Tor nicht ausreiche.
Die Grünen-Fraktion steht einer Verschärfung des Versammlungsrechts aufgeschlossen gegenüber. Man werde sich solche Vorschläge »wohlwollend anschauen«, sagte Fraktionschefin Krista Sager.
Der NPD-Eklat im sächsischen Landtag hat nun doch ein juristisches Nachspiel. »Es wird geprüft, ob der Tatbestand der verleumderischen Beleidigung erfüllt sein könnte«, sagte Oberstaatsanwalt Andreas Feron. Die Prüfung habe man eingeleitet, nachdem ein Rechtsanwalt Strafanzeige wegen der Vorgänge im Landtag am Freitag erstattet habe.

Artikel vom 27.01.2005