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Glockengießer werben
mit Friedrich Schiller

Ganze Schülergenerationen lernten das Gedicht

Von Katrin Zeiß
Apolda (dpa). Ein Glockengießer im Thüringischen will Friedrich Schiller (1759-1805) mit einem Bett für die Nacht gedient haben, in einer Gießerei in Süddeutschland vergaß der Dichter angeblich seinen Spazierstock. Glockengießereien quer durch Deutschland wollen Pate für »Das Lied von der Glocke« gewesen sein.
Kurt Kramer prüft in der Glockengießerei Bachert in Karlsruhe Klang und Ton. Foto: dpa
»Eine bessere Werbung als Schiller konnten sie sich vermutlich nicht wünschen«, erklärt Heike Schlichting, Leiterin des Glockenmuseums im thüringischen Apolda, die Legenden. Das Museum bereitet eine Ausstellung vor, die dem Mythos um eines der bekanntesten Schiller-Werke auf den Grund geht. Das seit 1952 bestehende Museum widmet sich der Kulturgeschichte des Glockengusses. Die Ausstellung, die vom 22. Mai bis 10. Juni gezeigt werden soll, ist einer der Beiträge Thüringens zum Schillerjahr.
»Viele Passagen sind zu regelrechten Lebensweisheiten geworden, die noch heute oft zitiert werden«, erklärt Lothar Ehrlich von der Stiftung Weimarer Klassik die bis heute anhaltende Popularität der Ballade. Dabei sei sie wegen ihres konservativen Welt- und Frauenbildes heute »nicht mehr zeitgemäß«.
Die Arbeit an der 424 Verse langen Ballade begann Schiller 1797 in seinem Jenaer Gartenhaus. Erst zwei Jahre später war sie fertig, 1800 erschien sie im »Musenalmanach« des Verlegers Johann Friedrich Cotta. Verse wie »Drum prüfe, wer sich ewig bindet«, »Wenn gute Reden sie begleiten, dann fließt die Arbeit munter fort«, »Wo rohe Kräfte sinnlos walten« oder »Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ew'ger Bund zu flechten« lernten ganze Schülergenerationen auswendig. Bald machten sich die Glockengießer das Gedicht zu Nutze.
In Stuttgart verbreitete eine Gießerei, Schiller habe hier bei Studien seinen Spazierstock vergessen. 1782 soll der Dichter auf seiner Flucht vor dem württembergischen Herzog Carl Eugen Station in einer Gießerei im pfälzischen Frankenthal Station gemacht haben. Auch eine Gießerei in Rudolstadt-Volkstedt will dem Dichter die Anregung für seine Ballade geliefert haben. In Rudolstadt lebte der Dichter von Mai bis November 1788 und lernte seine Frau Charlotte von Lengefeld kennen. Seine Schwägerin Caroline von Wolzogen (1763-1847) berichtete in ihrer Schiller-Biografie von Spaziergängen vor der Gießerei.
Besonders fantasievoll ging Apolda mit Schiller um. In der Stadt nahe Weimar und Jena wurden mehr als 250 Jahre lang Glocken gegossen, darunter so berühmte wie die für den Kölner Dom. 1855 berichtete eine Zeitung vom angeblichen Besuch des Dichters in der Gießerei »Gebrüder Ulrich«. Zwei Generationen später war daraus eine Übernachtung Schillers beim Glockengießer persönlich geworden. »Damit hat die Gießerei ganz offen geworben«, zeigt Heike Schlichting auf eine Werbeanzeige aus dem Museumsfundus. Tatsächlich war Schiller nie in Apolda.

Artikel vom 27.01.2005