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Bewegendes Drama um eine Lehrerin

»Der Wald vor lauter Bäumen« von Nachwuchsregisseurin Maren Ade


Melanie Pröschle ist eine jener Gutmenschen, die nur die besten Absichten verfolgen: Die 27-jährige Junglehrerin aus Schwaben, gespielt von Eva Löbau, ist idealistisch, weltfremd und extrem uncool. Frau Pröschle macht mit ihrem Freund Schluss, verlässt ihr Heimatdorf und tritt in Karlsruhe ihre erste Stelle an einer Realschule an.
Wie die Hoffnungen und Ideale dieser Frau an der Realität zerplatzen, davon erzählt die junge Regisseurin Maren Ade in ihrem spannenden Regiedebüt. »Der Wald vor lauter Bäumen« lief bereits bei zahlreichen internationalen Festivals, so auch beim renommierten Independent-Branchentreff »Sundance« in den USA. Schön, dass dieser in seiner Tristesse sehr eindringliche, mitunter aber auch komische kleine Spielfilm endlich den Weg in unsere Kinos gefunden hat.
Melanie Pröschle möchte nett sein zu allen, aber sie mischt sich in alles ein - eine richtige Nervensäge, die einem im nächsten Moment wieder furchtbar leid tut. Die Schüler lassen sie nicht nur mit ihrer Exkursion ins Moor gnadenlos auflaufen. Sture, alteingesessene Kollegen zeigen ihr die kalte Schulter - bald wird es sehr einsam um die stark schwäbelnde Biologielehrerin.
Die Regisseurin stilisiert ihre unbeholfene Protagonistin jedoch nicht zum Opfer, sondern zeigt einen reichlich naiven Menschen, der Zuneigung sucht, wenig Kompromisse machen will und ansonsten einfach nicht mit seinem Leben zurecht kommt. Selbst Melanies einzige Freundin, die Boutiquebesitzerin Tina (Daniela Holtz), wendet sich schließlich von ihr ab. Ihr furchtbar verständnisvoller Junglehrer-Kollege Thorsten (Jan Neumann) würde Melanie gerne unterstützen, ist aber selbst für Melanies Verhältnisse einfach zu dröge.
So nimmt der bleierne Schulalltag seinen Lauf. Frau Pröschle, längst zur belächelten Spinnerin degradiert, isst ihr Pausenbrot auch schon mal im Besenschrank, und in den Sommerferien fährt sie ziellos durch die ausgestorbene Stadt. Maren Ades Drama einer schleichenden Isolation kommt fast dokumentarisch daher, bleibt ganz nah an seinen Figuren und verzichtet bis zum offenen Ende auf Musikuntermalung.

Artikel vom 27.01.2005