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Zweierlei auf hohem Niveau

Wiener Klassik-Konzert und ein Hilferuf

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Ach, die Zeiten sind ja so schlimm. Kultur, so Heribert Beissel, »ist zum Steinbruch geworden.« Doch als sei das finanzielle Desaster allein noch nicht fatal genug, gehe auch die Allgemeinbildung den Bach runter, monierte der künstlerische Leiter der Klassischen Philharmonie Bonn im dritten Konzert der Reihe »Wiener Klassik«.

Um die Bildung unseres Landes ist es arg bestellt, wie Beissel am Beispiel einer »gebildeten Dame, Mitte 30«, erläutert, die sich in der Pilawa-Quiz-Show bei der Frage windet, welcher Komponist mehr als zehn Sinfonien geschrieben habe: Beethoven, Brahms, Bruckner oder Mozart? Eine Bildungslücke von nicht abzusehender Tragweite, zweifellos. Ob das Wiener-Klassik-Publikum sie einhellig mit »Mozart« beantwortet hätte?
Aber da ist noch etwas, das dem Gründer des mit hochtalentierten jungen Musikern besetzten Orchesters unter den Nägeln brennt: Das Überleben der Konzertreihe »Wiener Klassik«. »Das wirkungsvollste Mittel dafür ist,« so richtet sich Beissel via großzügig verteilter Flugblätter ans Publikum, »Damen und Herren aus Ihrem Bekanntenkreis als neugierige Besucher unserer Konzerte zu gewinnen.« Fragt sich nur, wo die noch sitzen sollen, denn die Oetkerhalle ist ein ums andere Mal ausverkauft. Am Montagabend wurden gar auf der Bühne zusätzliche Plätze geschaffen, um der großen Nachfrage nach Wiener Klassik gerecht zu werden.
Es wurde aber nicht nur auf hohem Niveau gejammert, sondern glücklicher Weise auch musiziert. Gemäß dem Ziel, auch die angrenzenden Epochen der Ära Haydn, Mozart und Beethoven zu berücksichtigen, wurde mit Vivaldis »Jahreszeiten« in erfreulich barocknahem Musizierstil eröffnet. Lustvoller, detailverliebter kann man sich die Inhalts- und Affektausdeutung der einzelnen Sätze kaum denken. Beissel lenkte das bestens eingestellte Kammerorchester mit Sinn für spannungsvolle Ausphrasierung, dynamische Spannungsbögen und Sinn für musikalische Höhepunkte. Virtuos, gefühlvoll und mit bisweilen charismatischer Bogenführung fügte sich Tobias Steymans an der Solovioline kongenial ins Jahreszeitenprogramm.
Gekennzeichnet von leidenschaftlicher Dramatik und präziser musikalischer Ausarbeitung konnte man auch mit der Prager Sinfonie, der 38. von insgesamt 41 Sinfonien, die auf Mozarts Konto gehen, brillieren. Einzig die Stimmbalance zwischen dominanten, indes glänzend disponierten ersten Geigen und Gesamtklang könnte man noch einer gewissen Regulierung unterziehen.

Artikel vom 26.01.2005