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Protokoll einer heroischen Tat

Soziologie trifft Theater: Öffentliche Probe zum Luhmann-Stück im ZiF

Von Matthias Meyer zur Heyde und Bernhard Pierel (Fotos)
Bielefeld (WB). Und sie konnten zusammen nicht kommen . . . Zu einem Lehrstück über die Welten, die zwischen Wissenschaft und Theater liegen, geriet am Montagabend die öffentliche Probe eines Stückes über den bekannten Bielefelder Soziologen Niklas Luhmann.

»Bereits mit dem von Ihnen gewählten Titel ÝLuhmannÜ zielen Sie auf ein Publikum von Soziologen«, belehrte ein Diskussionsteilnehmer den Autoren des Stückes. Ob da nicht eine breitenwirksamere Kennzeichnung des Werkes her müsse? Der Berliner Schriftsteller Tom Peukert schlug angesichts des wissenschaftlichen Ernstes, die im Plenarsaal des Zentrums für interdisziplinäre Forschung (ZiF) auf ihn eindrang, locker-flockig eine »soziologische Revue« vor, und die Augenbrauen hoben sich irritiert.
Der Einladung zur öffentlichen Probe in der beliebten »Abendstudio«-Reihe der Theater- und Konzertfreunde waren etwa 200 Gäste gefolgt, in der Mehrzahl mit universitärem Hintergrund. Entsetzen ergriff die »Künstlertruppe«, als aus der letzten Reihe der Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit laut wurde. Das sei »echt krass«. Schauspieler Oliver Baierl erholte sich als erster und konterte, das Leben sei eben manchmal krass. Regisseur Patrick Schimanski erklärte den Systemtheorie-Spezialisten, dass die inkriminierte Textstelle (es fiel, erschröcklich, das Wort »Kanake«) von einem deutschen Schauspieler in der Rolle eines Türken gesprochen werde, der hier eine häufig gehörte Diffamierung kritisch beleuchte.
Zu diesem Zeitpunkt schien Harald Gieche, der betreffende Schauspieler, bereits resigniert zu haben: Andächtig betrachtete er die baulichen Feinheiten an der Decke des Plenarsaals.
»Hier ist so viel Verwirrung«, sang der Schauspieler Stefan Hufschmidt, aber auf ausländisch (englisch); außerdem hatte er sich mit einer Fusselperücke als Altlinker, sprich: Spinner, getarnt, und dem Narren glaubt ja ohnehin keiner. Kaum zu glauben auch, dass Luhmann jemals schrieb: »Liebe ist nicht nur eine Anomalie, sondern auch eine ganz normale Unwahrscheinlichkeit.« Die Soziologie gluckste wissend, als der Satz in einer Szene fiel, aber, ach, der Satz ist nur von Tom Peukert.
Schauspieldramaturg Uwe Bautz erklärte, dass das Ensemble Poesie auf die Theaterbühne bringe, nicht etwa eine Theorie. »Aber etwas so Kompliziertes wie ein Luhmann-Konstrukt muss doch eingeleitet und erläutert werden«, dozierte jemand. »Es ist ein Peukert-Text, und der funktioniert auch so - als Stoff eines Theaterabends«, erwiderten die Künstler.
Ob denn auch die »zweite Garde« der Luhmannschen Begrifflichkeit - die Macht vielleicht - auf der Bühne diskutiert werde. Wird sie nicht. Schauspieler diskutieren Machtstrukturen nicht, sie spielen sie.
Dem Autor wurden zwecks Vertiefung seiner Kenntnisse Luhmanns »zahlreiche« Bücher über die Macht empfohlen: »Eines heißt einfach ÝMachtÜ, das andere so ähnlich . . .«
Warum tritt die Titelfigur nicht auf? »Anfangs wollte ich eine Szenerie mit Luhmann im Sterbebett entwerfen, der noch einmal seine Weltsicht diskutiert, aber angesichts eines so komplexen Stoffes genügte diese simple Dramaturgie nicht«, erläutert Peukert. Sein Stück, ein Auftragswerk des Bielefelder Theaters, das am 5. Februar im TAM oben uraufgeführt wird, zeigt vier Schauspieler in wechselnden Rollen.
Die Soziologie examinierte im ZiF das Theater, und Oliver Baierl gestand, er verstehe Luhmann nicht: Hier ein Sozialsystem, da ein Sozialsystem, dazwischen eine tiefe Kluft. Was hätte Luhmann dazu gesagt? Peukert: »Er hätte den Versuch der Annäherung ÝheroischÜ genannt.«

Artikel vom 26.01.2005