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Wie er mir bedeutet, muss er jetzt mit dem Sekretär des Geheimen Hofrats einen bestimmten, fast heiligen Ritus feierlich durchführen. Er darf die Faksimile-Unterschrift des Königs auf die fertigen Urkunden und Briefe stempeln É

Der alte Diener geht mir mit schleppendem Schritt voraus. Ein schmaler Gang, eine enge Spindeltreppe, zwei Stockwerke hoch, dann eine Tür und noch eine Tür, dann bin ich wieder in der lärmerfüllten Welt der kleinen und großen Streitereien und der Rollenspiele der Macht. Alle Widerstände gegen diesen aufreibenden Betrieb sind in mir wieder erwacht, und ich spüre, wie erholsam mein kurzer Ausflug zum Hüter des königlichen Stempelkissens war.
Doch was hat diese unerwartete Visite bei Don Luis zu bedeuten? Meine Gedanken rasen. Sind Verzögerungen der Reiseplanung eingetreten? Hat mir das der höchste Minister mitzuteilen? Wird mir der Auftrag, ein Bildnis der künftigen Königin zu malen, genommen? Will er mir stattdessen eine Entschädigung anbieten? Oder gibt es gar zusätzliches Geld? Grässlich - dieser palasteigene, unablässig gärende Sumpf, der meist nur übel riechende Flatulenzen in die reine Luft entlässt.
Mit geschäftigem Schritt eilen mir Amtspersonen, Bedienstete und Hilfsbedienstete entgegen; ich blicke immer wieder auf, um zu prüfen, ob ich jemanden grüßen soll. Doch es ist unnötig, da ich hier kaum einen kenne und die meisten Mienen durch den täglichen Umgang mit den so bedeutenden wie unüberblickbaren Problemen des spanischen Weltreichs zu marionettenhafter Starre eingefroren sind. Es sind zwar alle nur kleine Rädchen eines schwerfälligen großen Räderwerks, aber mit wichtigtuerischem Gehabe bedeuten sie ihre Unnahbarkeit und ihren Anspruch innerhalb der Hierarchie der gottgewollten Herrschaft über ein Weltreich.Dieses Theater steigert sich in dem breiten Hauptgang, den wir jetzt erreichen. Von hier aus erreicht man mehrere der Audienzräume. In dieser für das Besucherpublikum geöffneten Zone des Palastes wimmelt es von Bittstellern und Leuten, die auf einen Empfang hoffen. Sie stehen wartend herum, sitzen oder hocken auf dem Boden. Obwohl die Palastwächter besonders unsaubere und aufdringliche Gestalten abweisen, sind viele der Anwesenden kaum auszuhalten mit ihren dreisten Manieren. Die Luft ist zum Zerschneiden.
»Nicht stehen bleiben«, hatte mir der Vetter Diego geraten, »du wirst sofort in irgendwelche Gespräche verwickelt, und sei es, dass irgend so ein Kerl nur verhindern will, dass du vor ihm vorgelassen wirst. Stell dir vor, selbst mich versuchen sie dort manchmal festzunageln.« Und mit bitterem Humor fuhr er fort: »Da bin ich plötzlich ein Mensch wie jeder andere. Dabei wollen alle nur möglichst schnell und nah an die gesalbten Träger der Macht heran.«
In Abständen kann man die theatralischen Auftritte der zwischen den Türen hin- und herhastenden Sekretäre und Berater beobachten, die mit erhobenem Blick über die schattenhaften Figuren an ihrem Wegrand hinweggleiten. Neben dem Aufmerksamkeit heischenden Auftritt dieser aufgeputzten Laffen nehmen sich die starren Gesten der herein- und hinausweisenden Protokollbeamten recht umständlich aus. Die dritte und farbigste Gruppe der Repräsentanten staatlicher Macht sind die Palastwachen mit ihren blauen und roten Schärpen, mit gleichförmigen Bewegungen wie mechanische Uhrwerke. Sie sind hier beidseitig der Türen postiert und stellen sicher, dass niemand Unerwünschtes eindringt.
Der Diener schleust mich zum Glück durch die Traube der Wartenden hindurch, und wir befinden uns nach wenigen Schritten im Warteraum vor dem Audienzzimmer von Don Luis. Der Raum ist leer bis auf zwei Hünen von Wachmännern, die neben der Durchgangstür postiert sind. Sie mustern uns mit finsterem Blick. Wie mein Begleiter zielstrebig auf sie zueilt, schieben sie sich sperrig und unüberwindlich von beiden Seiten vor die Türöffnung: »Keine Audienzzeit mehr!«
»Ich komme in besonderem Auftrag.« Mein Begleiter hebt ein gesiegeltes Briefchen dem größeren der beiden unter die Augen. Der besieht einen Moment prüfend das Siegel, um dann die Tür aufzudrücken und zur Seite zurückzuweichen.
Im Audienzraum empfängt uns wohltuend frische Luft. Die Fenster und die rückwärtige Tür sind geöffnet; die zur Seite geschobenen Stühle demonstrieren, dass der Herr dieser Räume bis auf weiteres wohl hier nicht zurückerwartet wird. Wir durchqueren die beiden anschließenden Räume, ohne auf irgendwelches Personal zu stoßen.
»Liegt hier nicht ein Irrtum vor?«, versuche ich meinen dienstbaren Geist zurückzuhalten, der forsch in die Privatzimmer des Ministers eindringt und mich unbekümmert nachwinkt. Wir betreten einen engen Gang. Ich wage nicht anzuhalten, obwohl mich die dicht mit Bildnissen zugehängten Wände und eine Gruppe von Bronzefiguren auf dem Tisch faszinieren.
»Keinesfalls«, äußert er wortkarg, lauscht einen Moment und geht dann, undeutlich hörbaren Stimmgeräuschen folgend, über einen Treppenabsatz zu einem auffallenden Türeingang hinauf, der von bemalten Säulen flankiert und von einem kleinen Tempelgiebel bekrönt ist. Verwundert betrachte ich unsere nur von einigen Lichtluken erhellte Umgebung.
Ein kurzes Klopfen gegen die kassettierte Tür, und schon schwingt diese weit auf. Ein kostbar livrierter Diener steht vor uns, lächelt mich an, nimmt das Briefchen meines kundigen Abholers entgegen, der geschwind enteilt. Der Diener tritt zur Seite, bittet mich einzutreten, und weist mich in einen großen und hohen Raum, auf dessen gedämpfte Beleuchtung ich meine Augen erst einstellen muss: »Der Marqués de Eliche erwartet Sie.«
Mit flüchtigem Blick erfasse ich die von bunten Wirkteppichen bedeckten Wände, über die Gemälde in größerer Zahl gehängt sind. Vor dieser abgedunkelten Kulisse bemerke ich die etwas gestelzt auf mich zuwandelnde Gestalt eines jungen Mannes, mittelgroß und durch ein kostbar besticktes Wams aufgeputzt wirkend. Ich habe mit Don Luis gerechnet. Etwas verwirrt über die unverhoffte Begegnung mit einem mir Fremden höre ich den Diener sagen: »Euer Ehren, dies ist Señor Velázquez, den Sie erwarten.«
»Willkommen, verehrter Señor Velázquez! Ich bin nicht oft hier im Palast und habe zufällig mitbekommen, dass Ihr gerade mit meinem Vater zu tun hattet. Ich wollte schon lange Eure Bekanntschaft machen. In den nächsten Tagen wollte ich nach Euch rufen lassen«, sagt er geringschätzig und fährt in einem herablassenden Ton fort: »Aber da mir gemeldet wurde, dass Ihr hierher einbestellt werdet, hat sich das für mich erübrigt.«
»Euer Interesse in Ehren É«, erwidere ich wie beiläufig und betrachte prüfend das glatthäutige Kindergesicht. Es wird gerahmt von wohlfrisierten dunklen Lockenbüscheln und trägt einen Ausdruck aufgesetzter Forschheit. Ist das also der viel geschmähte Don Gaspar de Haro, der die begabteste Tänzerin aus Lázaro DíazÕ Truppe geschwängert haben soll? Traut man diesem Milchgesicht gar nicht zu. Die etwas zugeschwollenen Augen und wulstigen Lippen mit dem schmalen Bartstreifen darauf verraten einen noch unreifen, nicht einmal zwanzigjährigen Jüngling. Aber die kecke Art kennzeichnet den Spross der allmächtigen Familie. Ein Popanz übelster Sorte!
»Ihr werdet die Ehre sicher zu würdigen wissen, wenn ein Haro einen Mann des Malerhandwerks zum Gespräch bestellt. Ihr solltet wissen, dass ich die Kunst, die Ihr mit Eurem Pinsel beherrscht, schätze.«
Daraufhin weist er mir gebieterisch einen Platz auf einem harten Stuhl zu.
»Und worin kann mein Pinsel Euch dienen?«, frage ich im gleichen Ton zurück.
»Habt Ihr nicht vor Tagen ein Fässchen Wein erhalten?«
»Habe ich. Allerdings nahm ich an, dass diese ungewöhnlich großzügige Gabe von Eurem verehrungswürdigen Vater kam.«
»Hat er Euch gemundet?«
»In der Tat, er war vorzüglich!«
»Nehmt es als Zeichen der Anerkennung Eures Talents. Malerei, die wertvollste aller Künste, bedeutet mir sehr viel É Man sagt mir, Velázquez wäre darin der Beste!«
Ich habe schon lange gelernt, solch aufdringliche Komplimente mit Vorsicht zu genießen.
»Bringe Er die Gläser!«, weist er den Diener mit einer lässigen Handbewegung an. Als zwei gefüllte Weingläser serviert sind, verlässt der Diener auf einen weiteren Wink seines Herrn den Raum. Don Gaspar lässt sich in den prächtigen ledernen Lehnstuhl fallen, den er sich mit dem Fuß geangelt hat.
»Nun ja É«, sagt er in seufzendem Ton, greift sich ein Glas und prostet mir zu: »Auf das Wohl unseres noch unbeweibten Königs, der sein vereinsamtes Bett mit einem Kind zu teilen gedenkt!«
Mir fällt fast das Glas aus der Hand. Zu einer Entgegnung ist keine Zeit, da er forsch seine Frage abschießt: »Würdet Ihr einen Auftrag von mir annehmen?«
»Ihr meint, nicht von Eurem Vater, sondern direkt von Euch?«
»Selbstverständlich ausschließlich von mir. Ich habe mein eigenes Vermögen und meine eigenen Interessen. Würdet Ihr das tun?«
»Es kommt ganz auf die Sache an. Aber ist Euch klar, Marqués, dass ich im Begriff stehe, Madrid für viele Monate, wenn nicht Jahre zu verlassen?«
»Eben das habe ich gehört. Ihr geht nach Venedig und Rom. Ich denke, Ihr werdet in die Paläste der großen Familien und in die Werkstätten der besten Maler gelangen.«
»Im Auftrag des Königs«, betone ich, um zuwiderlaufenden Absichten vorzubauen.

(wird fortgesetzt)

Artikel vom 01.02.2005