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Und wie erklärst du dir das?«
»Ich weiß es nicht. Ich kann dir nur sagen, dass dieser Wein etwas Überwältigendes war. Wir haben ihn mit Freunden getrunken É« An seinem enttäuschten Gesicht erkenne ich, dass ich mich mit dem Wort Ýmit FreundenÜ verplappert habe. Geistesgegenwärtig ergänze ich: »Allerdings noch nicht zur Neige. Du bist herzlich eingeladen, mit mir ein Glas davon zu kosten.«
»Oh! Gern folge ich deiner Einladung, lieber Vetter! Aber ist dir klar, was ich hier noch durchzusehen und zu korrigieren habe?«
»Nicht ganz!«
Seine Augen blitzen. »Wegbeschreibungen, Empfehlungsschreiben der Hofkammer an Äbte und Bürgermeister, an Sammlungsverwalter und Bibliothekare, Briefe an unsere Geschäftsträger in Genua, Venedig, Rom und sonst wo, die Ausweise, damit Zollbeamte und Brückenmauteintreiber, Fährunternehmer und Stadtwachen dich passieren lassen. Wenn hier nicht alles auf Punkt und Komma stimmt, kommst du nicht durch. Da ist es besser, einen Brief nochmals fertigen zu lassen.«
Ich nicke anerkennend, während er seine Hand auffallend deutlich auf einen Briefpacken legt.
»Hier liegen meine Werke: Die besonders wichtigen Kassenanweisungen, Briefe und persönlichen Empfehlungen mit der Unterschrift Seiner Majestät. Diese werde ich aus dem großen Kasten zaubern, wo sie samt Stempelkissen verwahrt ist.«
»Wenn du alle diese Anmeldungen und Empfehlungen schreibst, bekommst du nicht manchmal Sehnsucht, selber auf Reisen zu gehen?«
»Das fragst du auch noch? Sofort käme ich mit! So selten, wie ich hier herauskomme! Mit solchen Papieren wie deinen würde sich jeder am Hofe auf Dienstfahrt schicken lassen! Ha! Ha! Verreisen É«, lacht Diego wehmütig, während sich seine hutzelige Gestalt noch mehr zu krümmen scheint. Kurz darauf hat er sich wieder gefasst. »Weißt du, ich glaube, die ausgleichende Gerechtigkeit besteht für mich darin, dass ich manchmal von dieser Stube aus an einem Faden des großen Spinnennetzes ziehen und hin und wieder Schicksal spielen kann. Ich bin ein Kopist des Theaters, der einige winzige Verbesserungen anbringt und Betonungen setzt. Im Geiste bin ich bei deinen Exkursionen regelrecht mit dabei. Dabei stelle ich mir vor, wie du die ausgeklügelten Empfehlungen und Verabredungen auf der Bühne des wirklichen Lebens umsetzt.«
Während er fortfährt zu schreiben, erhebe ich mich schließlich, und da ich in dem engen Raum kaum hin und hergehen kann, studiere ich in leicht gebückter Haltung alles, was Diego an merkwürdigen Notizen und Adressen an die Bretterwand hinter seinem Sitz gesiegelt und geheftet hat.
Er schaut mit einem listigen Blick zu mir auf: »Ich empfehle dich gerade dem Herzog von Terranova, unserem Vizekönig in Neapel. Soll ich das schön oder etwas flüchtiger schreiben?«
»Um Gottes willen. So bedeutsam wie möglich! Du bist heimtückisch. Diesen Zug habe ich nicht in dein Porträt hineingemalt. Womit habe ich das verdient?«
»Ich habe extra große Buchstaben gewählt. Einige mit Schnörkeln. An unseren dortigen Geschäftsträger habe ich allerdings schneller geschrieben.«
»Aber hoffentlich gut lesbar!«, entfährt es mir.
»Es wird reichen, ist ja Spanisch«, lacht er, denn er weiß, dass es um die Auszahlung meines mir längst zustehenden Geldes geht. »Verlass dich auf mich! Ich habe dich ausgerüstet wie Don Jayme Manuel de Cardenas, den Herzog von Nájera und Maxeda!«, sagt er mit Stolz. Dann senkt er den Ton und singt mit unerwartet kräftiger Bassstimme: »Don Jayme de Cardenas! Du weißt gar nicht, wie oft ich diesen Granden in Zierbuchstaben gekratzt habe.« Plötzlich hebt er seinen großen Kopf und mustert mich mit ernstem Blick. »Kennst du den Herzog schon, oder hast du Bekannte in seinem Gefolge?«
»Nein. Warum fragst du?«
Er zögert einen Moment, dann sagt er leise. »Ich wüsste gern, was er gegen dich hat. Irgendjemand aus seiner Umgebung kann dich nicht leiden.«
»Wie kommst du darauf?«, frage ich etwas verunsichert.
»Es ist nur die Heimlichtuerei mit den Wegbeschreibungen und Reiseempfehlungen.« Er schiebt sich ganz nah zu mir hin und fährt fort: »Es ist ein ganzer Packen von Anweisungen und Briefen, den du jetzt noch nicht bekommst, sondern den der Sekretär des Herzogs dir erst in Italien aushändigen will. Hat man dir denn gesagt, welche Strecke du von Genua aus nehmen sollst?«
»Wieso von Genua aus?«, wende ich ein. »Ich gehöre doch zur königlichen Delegation. Da muss ich mich doch nicht selbst um Weg und Quartier kümmern!«
»Aber wo solltest du dich denn von unseren Leuten trennen?«
»Das hängt davon ab, wann wir in Trient ankommen und wie viel Zeit dort für das Bildnis der künftigen Königin bleibt.«
»Sollst du sie denn jetzt schon malen?«
»Was sonst? Deswegen bin ich doch bei der Delegation!«
»Und warum kann das nicht in aller Ruhe in Madrid geschehen?«
»Du hast ja selbst die Anweisungen gesehen, was ich alles in Modena, Venedig, Rom und so weiter für den König erledigen soll und wo ich sonst noch hin muss. Dafür ist ein ganzes Jahr kaum ausreichend; und vor allem muss ich Glück haben, genügend zu finden und kaufen zu können. Und in Madrid gibt es inzwischen eine große Hochzeit und eine jugendliche Königin, deren Bildnis von unseren hohen Würdenträgern und von Spaniens Freunden an auswärtigen Höfen begehrt sein wird. Das erfordert eine erstklassige Malerei, die Ehre für uns einlegt. Mit der Kunde über die Vermählung müssen die ersten Bilder reisen.«
»Und wie soll das gehen, wenn du außer Landes bist?«
»So wie ich es schon öfters gemacht habe, wenn ich einmal in zehn Jahren den König zum Modellsitzen bekommen habe. Mein Brustbild ist die Vorlage, die Juan Bautista dann wie immer vervielfältigen und in größere und kleinere Formate und entsprechende Kostüme setzen kann.«
»Ist er so perfekt?«
»Ein Wunder an Genauigkeit! Seine Velázquez-Bildnisse sind so einwandfrei wie deine Unterschrift Seiner Katholischen Majestät. Den Unterschied erkenne ich oft nicht einmal selbst.«
»Du meinst, das Bild würde mit der Delegation nach Madrid reisen, während du für den König Italien durchstöberst.«
»Genau das. Und schließlich habe ich das Privileg, die königliche Familie zu malen. Also kann es gar nicht anders ablaufen.«
Bei dem, was ich sage, sieht er mich mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck an, sodass ich hinzusetze: »Was glaubst du, weshalb ich nun schon seit Mai auf die Abordnung des Herzogs warte? Ich hätte doch seit Monaten andere Möglichkeiten gehabt.«
»Ich glaube, du solltest wissen«, sagt er mit einer behutsamen Tonlage, in der etwas steckt, das Bauchgrimmen verursacht, »dass es Leute am Hof gibt, die Don Luis darauf aufmerksam gemacht haben, dass dein Privileg erst für die verheiratete Königin von Spanien gilt und nicht für die österreichische Erzherzogin, die unserem König versprochen ist.«
El Primo bringt mich fast aus der Fassung. Ich setze mich für einen Moment hin, um meine Gedanken ordnen. »Und wer soll ihnen so etwas eingeblasen haben?«, frage ich.
»Denke daran, dass es auch andere Hofmaler gibt, die zum Zuge kommen wollen! Oder andere, die es besser zu wissen glauben, welche Bilder für die Wände des Buen Retiro taugen. Kein Fußbreit deiner Mitsprache in diesen Entscheidungen ist selbstverständlich. Das empfindest du nur aus Gewohnheit so.«
»Und wer soll die Erzherzogin malen?«
»Der angesehenste Bildnismaler unserer Tage natürlich«, schauspielert er mit gestischer Untermalung die hinterhältigen Rechtfertigungen meiner Rivalen. »Und an welchem Hof Europas wird der wohl wirken?«
»Wo denn, wenn nicht in Spanien!«, reagiere ich ungehalten.
»Wie wäre es denn mit dem des Großherzogs der Toskana?«
»Du meinst doch nicht etwa É?«, frage ich halblaut, wobei mir die Stimme trocken wird.
»Doch, ich meine diesen flämischen Maler in den Diensten der Medici.«
»Wer aus dieser Brut ist es?«
»Sustermans heißt er.«
»Sustermans, Sustermans É Wer ist er schon!«
»Er wird geschätzt É«
»Hm! Und wo soll das stattfinden?«
»Vielleicht in Trient, eher aber in Mailand. Sie ist kurz nach der Grenze die erste große Stadt, die in unseren Händen ist und in der die künftige Königin Quartier machen wird.«
»Sind dort nicht große Festlichkeiten geplant? Ich ging davon aus, dass ich bis dorthin mitreisen werde. Aber wer É« Weiter komme ich nicht, da sich nach einem kurzen Klopfzeichen die Tür vom Nebenzimmer her öffnet und ein weiterer Diener sich durch die Mauerlaibung schiebt.
»Der Secretario ist bereit zum Ritual. Habt Ihr alles vorbereitet?«
»Er kann kommen É«, sagt mein Vetter gelassen.
Nun richtet sich des Dieners Augenmerk auf mich. »Kann es sein, dass Ihr Señor Velázquez seid?«
Als Antwort nicke ich stumm.
»Folgt mir!«, sagt er fast im Befehlston. »Ich werde Euch zu Don Luis führen. Er erwartet Euch.«
Mit einem unbestimmten Gefühl hefte ich mich an seine Fersen. Ich weiß zwar nicht, was mich dort erwarten könnte, doch vielleicht entpuppt sich das Ganze als eine ungeheure Intrige, die alle Beteiligten wieder in eine völlige Lähmung stürzt.
Mit meinem Vetter Diego kann ich erst später meinen Austausch fortsetzen.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 31.01.2005