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»Der Mann muss
auch mal auf
die Frau hören«

Ehepaar Zschäbitz feiert eiserne Hochzeit

Von Gerhard Hülsegge
(Text und Foto)
Dornberg (WB). »Das Leben besteht nicht nur aus Sonnenschein«, sagt Gottfried Zschäbitz. »Und der Mann muss auch mal auf die Frau hören«, ergänzt Gattin Ilse. Ihr gemeinsames Rezept für eine Ehe, die mittlerweile 65 Jahre hält: »Wir lieben uns immer noch.« Heute feiert das Paar in Dornberg das seltene Fest der eisernen Hochzeit.

Zum Sektempfang an der Wertherstraße 305 hat sich auch Bezirksvorsteherin Mareile Hempelmann angesagt. Sie und alle anderen Gäste werden auf zwei Senioren treffen, die eine Menge erlebt haben, sich noch weitgehend selbst versorgen und vor allem ein Stück Zeitgeschichte, die Teilung Deutschlands von 1945 bis 1990, am eigenen Leibe hautnah miterlebt haben.
Denn das Jubelpaar stammt aus dem Osten des Landes, aus dem Gebiet der DDR. Die beiden haben sich in Mügeln bei Oschatz (Sachsen) kennen gelernt. »Meine Cousine hatte dort ihren Abschlussball«, erinnert sich Ilse Zschäbitz. »Und als die Pflichttänze absolviert waren, habe ich mir meine Frau ausgeguckt«, weiß Gottfried Zschäbitz noch genau. 16 und 17 Jahre waren damals beide jung. 1936 fand die Verlobung statt, vier Jahre später wurde geheiratet. »Es war bitterkalt, und es lag Schnee«, berichtet die Braut.
Gottfried Zschäbitz, gelernter Verwaltungsfachmann, wurde vom Zweiten Weltkrieg geprägt. Seit 1934 Luftwaffen-Soldat in Dresden und Breslau, nahm er am Russlandfeldzug ebenso teil wie an der Verteidigung der Westfront in Holland, Belgien und Frankreich. 1945 geriet der gebürtige Leipziger in amerikanische Gefangenschaft, unternahm einen Fluchtversuch und verbrachte - wieder eingefangen - drei Tage bei Wasser und Brot. 19 Tage später wurde das Lager aufgelöst und der Flak-Artillerist zuerst nach Paris, dann in die sowjetisch besetzte Zone entlassen.
In Mügeln arbeitete Gottfried Zschäbitz in einer Kartoffelflockenfabrik. Die Sowjetrussen als Besatzungsmacht hätten ihn allerdings gerne unter Tage in den Bergbau geschickt. Dass er nicht ins Erzgebirge musste, verdankte der heute 89-Jährige seinem Hausarzt. Der schrieb ihn »z. Zt.« (zurzeit) untauglich. Den Rest besorgte der Patient selbst, indem er die einschränkenden Buchstaben mit zwei Klecksen aus dem Füllfederhalter unleserlich machte.
So konnte Gottfried Zschäbitz als Werkleiter in der Fotobranche arbeiten. Die Besatzer ließen allerdings nicht locker und wollten ihn zwingen, Nachbarn und Arbeitskollegen für den russischen Geheimdienst zu bespitzeln. So fasste das Ehepaar, inzwischen Eltern von zwei Kindern, den Entschluss, in den Westen Deutschlands zu fliehen. Am 13. Oktober 1947 verließen die ZschäbitzĂ• Mügeln und ruderten mit einem Boot über die Trave nach Lübeck-Kücknitz. Die britischen Besatzer der alliieren Truppen verhalfen der Familie zu Arbeit, Brot und Wohnung. Und Gottfried Zschäbitz arbeitete von 1950 bis zur Pensionierung 1978 unter anderem in der Landesbezirkskasse und im Landesbesoldungsamt in Kiel.
Ilse Zschäbitz (90), geborene Oelsner, ist gelernte Plüschweberin und hat in einer Strumpffabrik im Erzgebirge gearbeitet. Von vier Geschwistern lebt noch eine Schwester; die beiden Kinder sind 60 und 64 Jahre alt: Annerose wohnt in Hamburg, Karin hat mit Schwiegersohn Roger Fairfield, einem Engländer, in Werther ein Haus gebaut, so dass das Jubelpaar 1992 Kiel verließ und Karins Wohnung in Dornberg übernahm.
Dort versorgt der Ehejubilar noch den täglichen Haushalt. »Über den Fahrstuhl sind wir besonders froh«, sagt er. So kann auch Ehefrau Ilse trotz Gehbehinderung das Haus verlassen. Zweimal am Tag kommt der Pflegedienst, genauso wie das Essen auf Rädern. Und es bleibt Zeit zum Lesen und Radio hören - am liebsten NDR1. Vier Enkel, zum Teil in England und Kapstadt (Südafrika) beheimatet, sowie fünf Urenkel sind der weitere Stolz von Ilse und Gottfried Zschäbitz, die auch heute noch täglich »aufeinander zugehen« und versuchen, Toleranz zu üben. 2002 gab es ein großes Familientreffen. Die Bildergalerie im gemütlichen Wohnzimmer legt auch hiervon eindrucksvoll Zeugnis ab.
Solange es Alter und Gesundheit zuließen, fuhren der Leichtathlet und die aktive Handballerin auch gerne Ski. Beide verbindet die Liebe zu den Bergen. Heute genießen sie von ihrer Terrasse aus den Blick auf den Teutoburger Wald.

Artikel vom 27.01.2005