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Dichter trauriger Märchen
Der Däne Hans-Christian Andersen wurde vor 200 Jahren geboren
»Mein Leben ist wunderschön wie ein Märchen.« So beginnt ein Buch, in dem Hans-Christian Andersen seine eigene Lebensgeschichte beschreibt. Doch da hat Andersen, wie es Märchendichter so tun, wohl ein bisschen geflunkert.
Genau 200 Jahre ist es her, da wurde Andersen als Sohn einer armen Schuhmacher-Familie in der dänischen Stadt Odense geboren. Als Junge ging er oft bei reichen Leuten hausieren. Er trug ihnen selbst gedichtete Verse vor und erhielt dafür manchmal ein Stück Brot oder etwas Geld. Das klappte manchmal, oft aber auch nicht. Da zog Andersen im Alter von nur 14 Jahren in die Hauptstadt Kopenhagen - mit nicht mehr als zehn Reichsmark in der Tasche.
Ungefähr um die gleiche Zeit haben in Deutschland die Brüder Grimm ihre Märchensammlungen veröffentlicht. Im Unterschied zu Andersen haben sie ihre Märchen - zum Beispiel »Rotkäppchen«, »Die sieben Geißlein« und »Schneewittchen« - nicht erfunden. Sie haben sich diese von den Leuten erzählen lassen und dann aufgeschrieben.
Andersen hingegen hat sich seine Märchen - insgesamt 156 - selbst ausgedacht. In seinen Geschichten werden keine Menschen gefressen und keine Wölfe aufgeschlitzt. Trotzdem sind Märchen oft sehr traurig - etwa das »Mädchen mit den Schwefelhölzern«, das von der Not und der Armut erzählt, oder die »Meerjungfrau« und »Der standhafte Zinnsoldat«, die beide von Wesen berichten, deren Liebe zu einer Person nicht erwidert wird.
Andersen hatte aber auch einen schönen Humor - etwa in dem Märchen »Des Kaisers neue Kleider«, in dem er sich über die Untertanen lustig macht, die sich nicht trauen, ihrem König die Wahrheit zu sagen. In »Das hässliche Entlein« schildert er den Triumph eines schneeweißen Schwans über die bösen Zungen, die in seiner Jugend über sein graues Aussehen gelacht hatten.
Schwingt da vielleicht ein bisschen Ärger über seine Nachbarn mit? Andersen war längst ein großer Dichter und weltweit berühmt, da haben die Kopenhagener sich immer noch über ihn, seine große Nase und sein schlaksiges Auftreten lustig gemacht. »Orang-Utan« nannten sie ihn und »Kranich«. Sicher haben sie sich nicht viel dabei gedacht. Aber dem sensiblen Märchendichter taten sie damit sehr weh. Er reagierte auf Schmerzen und Gefahren ohnehin sehr empfindlich - fast so wie die »Prinzessin auf der Erbse« in seinem Märchen.
Andersen, der 1875 im Alter von 70 Jahren starb, war zwar schon zu Lebzeiten eine Berühmtheit; reich geworden ist er dadurch aber nicht. Er zog von einer kleinen Mietwohnung zur nächsten, und zum Essen lud er sich oft bei Freunden ein. Ihnen schenkte er dann oft zum Dank einen schönen Vers.
Jetzt, 200 Jahre nach der Geburt, werden nicht nur die Dänen Andersen wieder feiern. In Hamburg gastierte bereits eine Andersen-Zirkusschau. Tourismus-Büros organisieren Reisen auf den Spuren des Märchendichters. Der Musiker Elvis Costello schreibt an einer Andersen-Oper. Bernhard Hertlein

Artikel vom 05.02.2005