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Mitgerissen im Strudel letzter Tage

Regime-Gegner wie Nikolaus Groß und Graf Moltke starben ganz zuletzt

WESTFALEN-BLATT-Serie,Folge 3Nazi-Gegner Nikolaus Groß (li.) mit Bernhard Letterhaus und Hermann-Joseph Schmitt (re.).

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Der Zusammenbruch Deutschlands im Januar 1945 bedeutet nicht Hoffnung, sondern den Tod für viele inhaftierte Gegner des Nazi-Regimes. Nikolaus Groß aus der katholischen Arbeiterbewegung steht stellvertretend für viele Namen.
2001 hat Papst Johannes Paul II. den katholischen Arbeiterführer aus dem Ruhrgebiet selig gesprochen. Als Redakteur der »Westdeutschen Arbeiterzeitung«, später »Ketteler Wacht«, prägte er zu seiner Zeit die bis heute sozialpolitisch wichtige Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB).
Zusammen mit dem Zentrumspolitiker Bernhard Letterhaus aus Köln trat Groß offen gegen die Nazis an. Je mehr das Regime seine christliches Engagement einschränkte, um so stärker wechselte Groß in den geheimen Widerstand. Mit Josef Wirmer, dem Paderborn/Warburger Mitverschwörer des 20. Juli, traf er regelmäßig zusammen.
Als nach dem 1944 gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler seine Verbindungen zu Carl Goerdeler und Jakob Kaiser bekannt wurden, kam er wie 6000 andere in Haft. Die Verhöre unter der Folter ergaben nichts. Vermutlich deshalb wird er erst sehr spät angesichts des absehbaren Regime-Endes vor Gericht gestellt.
Anfang Januar 1945 findet auch der große Prozess gegen die Angehörigen des Kreisauer Kreises statt. Helmuth James Graf von Moltke schrieb an seine Frau Freya: »Wir werden gehenkt, weil wir zusammen gedacht haben.«
Gemeinsam mit Franz Sperr und Alfred Delp wurde Moltke zum Tode verurteilt; wenige Tage später bestimmte Roland Freislers Volksgerichtshof auch die Schicksale von Theodor Haubach, Theodor Steltzer und Nikolaus Groß. Am 21. Januar 1945, zwei Tage vor der seiner Hinrichtung in Berlin-Plötzensee, schreibt Groß aus der Todeszelle an seine Mutter: »Durch Deinen tapferen Abschied hast Du eine helles Licht auf meine letzten Lebenstage geworfen.« Groß hat abgeschlossen.
Viele für den Neuanfang so wichtige Persönlichkeiten gehen Deutschland in den letzten Kriegsmonaten noch verloren. Die Todesrate der am Sechser-Galgen von Plötzensee hingerichteten »Politischen« zeigt parallel zum Niedergang des Regimes einen sprunghaften Anstieg.
Im Fall Goerdeler ist belegt, dass einzelne Vernehmer immer neue Gründe fanden, ihn aus Eigennutz zu schonen, während andere Kräfte den Schlussstrich ziehen wollten und konnten.

Artikel vom 22.01.2005