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»Pflicht aller Demokraten«

Bundeskanzler ruft zum Kampf gegen den Antisemitismus auf

Berlin (AP). Zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz hat Bundeskanzler Gerhard Schröder zum entschlossenen Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus aufgerufen.

»Es ist gemeinsame Pflicht aller Demokraten, der widerlichen Hetze der Neonazis und den immer neuen Versuchen, die Nazi-Verbrechen zu verharmlosen, entschieden entgegenzutreten«, sagte er gestern bei einer Gedenkveranstaltung des Internationalen Auschwitz Komitees in Berlin. Nie wieder dürfe es Antisemiten gelingen, jüdische Bürger zu bedrängen und zu verletzen »und damit Schande über unsere Nation zu bringen«, sagte der Kanzler.
Zu den Teilnehmern der Veranstaltung im Deutschen Theater gehörten neben Schröder und dem Vorsitzenden des Jüdischen Weltkongresses, Israel Singer, auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, mehrere Minister und Botschafter sowie ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers und Jugendliche aus verschiedenen europäischen Ländern.
Die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten bezeichnete Schröder als moralische Verpflichtung: »Die Verlockung des Vergessens und Verdrängens ist sehr groß. Doch wir werden ihr nicht erliegen.«
Den rechtsextremen Kräften, ihren dumpfen Parolen und Schmierereien, gelte die besondere Aufmerksamkeit von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz, erklärte Schröder. »Aber die Auseinandersetzung mit Neonazis und Altnazis müssen wir alle miteinander politisch führen.« Für die Feinde von Demokratie und Toleranz dürfe es keine Toleranz geben.
Israel Singer rief dazu auf, die Erinnerungsarbeit deutlich zu verstärken. Er verwies auf eine Studie in Großbritannien, bei der nur jeder zweite Befragte angegeben habe, schon einmal von Auschwitz gehört zu haben. Singer forderte die sofortige Einsetzung einer europäischen Kommission, die Standards für eine angemessene Bildungsarbeit zum Holocaust festlegen sollte.
Der Ehrenpräsident des Auschwitz-Komitees, Kurt Julius Goldstein, kritisierte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der neonazistische Demonstrationen nur dann verboten werden dürfen, wenn konkrete Hinweise auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vorliegen. Für die Auschwitz-Überlebenden sei dies »eine unmenschliche Tat gegen uns, wir leiden darunter«.
Die deutsche Bischofskonferenz warnte vor einem Wiederaufleben des Antisemitismus. »Auch in unserem Land scheint er zu erstarken. Unser Volk hat lange gebraucht, um sich der Verantwortung für das monströse Verbrechen zu stellen, das von Deutschen und im deutschen Namen begangen wurde«, betonten die Bischöfe. »Bis heute sind Mechanismen der Verdrängung wirksam.« Zweifellos müsse man die Vorstellung einer Kollektivschuld ablehnen. »Wahr ist aber auch, dass sich weit mehr Deutsche persönlich schuldig gemacht haben, als ihre Mitschuld einzugestehen bereit waren.« Sonderseite

Artikel vom 26.01.2005