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Eine Kelle voll aus dem Kessel Buntes

»Wie es leuchtet«: Thomas Brussig stellt die Figuren der Wendejahre vor

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Puh! Mehr als 600 Seiten über die Zeit des Mauerfalls. Muss man sich das antun? Muss man nicht. Wer jedoch Thomas Brussigs Roman »Wie es leuchtet« ungelesen zur Seite legt, verpasst eine ganze Reihe höchst amüsanter Geschichten.

Brussig, der in der »Sonnenallee« (1999) Ossis beim Hören von Wessi-Musik überraschte und »Helden wie wir« (1995) mit ihrer kleinen Trompete musizieren ließ, beobachtet in seinem neuen Roman ein anfänglich nur schwer überschaubares Gewimmel von Figuren aus Ost und West. Ob allerdings das Herz des Ostberliners (39) an den DDR-Gestalten hängt oder an ihren kapitalistischen Widerparts, darf der Leser selbst entscheiden: Brussig, bevor er selber anfängt vor Rührung zu heulen, bekämpft Sympathie und Abscheu mit Humor.
Warnung: Wer beim Thema Wiedervereinigung in nationales Stillgestanden verfällt, lasse die Finger von diesem Panoptikum der Skurrilitäten. 24 Lebensjahre in der DDR waren zu wenig, um Brussig im real existierenden Sozialismus zu verwurzeln. Zu wenig auch, um ihn alternativ zum bundesdeutschen Konsumjunkie umzupolen. Ohne inquisitorischen Eifer, völlig unernst schöpft er aus einen selbstgebrauten Kessel Buntes.
Da ist die etwas unbedarfte Lena (Ost), die den Montagsdemonstranten nahesteht, deren DDR-kritischer Song aber verpufft, als das SED-Regime abgewickelt wird. Da ist der überhebliche Leo Lattke, ein Reporter (West), wie er im »Spiegel« steht, der eine 08/15-Story über die Wende schreibt, die keiner drucken will. Den wilden Willi (Krankenwagenfahrer, Ost) erledigt eine leere Pulle Schampus, hinuntergeschmissen vom Brandenburger Tor. Hoteldirektor Bunzuweit, der Prototyp des hilf- und orientierungslosen Wendehalses, hofft, als Kartoffelpufferkoch sein Glück im Westen zu machen.
Geradezu köstlich sind die Auftritte des Hochstaplers Werner Schniedel, Generalbevollmächtigter von VW, und die Reaktionen der überforderten DDR-Autobauer, die auf Schniedels Weisung im Sachsenringwerk Zwickau zehn Trabis vor die Wand fahren. Dieser Crashkurs in Kapitalismus ist Brussigs Leitmotiv für den Umgang der Westhaie mit den Ossikarpfen im Wiedervereinigungsteich.
»Wie es leuchtet« erfreut mit einem Potpourri lose verknüpfter Episoden. Leser, die unverdrossen auf den Roman zur Wende hoffen, müssen weiter warten - vermutlich bis zum Sankt-Nimmerleinstag: Die Zeit, da große deutsche Geschichte der großen deutschen Literatur Stoff und Material lieferte, ist seit dem »Stechlin« und den »Buddenbrooks« vorbei.
Kein Grund zur Trauer. Durch die Archive mögen sich die Historiker und Soziologen wühlen. Thomas Brussig macht derweil lieber Kabarett. Der von Dieter Hildebrandt und Co. präparierte Leser zieht Brussigs Figuren einfach die Maske der Ironie vom Gesicht und erblickt in ihren Augen mühelos die großen Gefühle, die tragischen Irrtümer, die dramatischen Entscheidungen der Wendejahre.
Thomas Brussig: »Wie es leuchtet«; S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2004, 608 Seiten, 19,90 Euro.

Artikel vom 29.01.2005