24.01.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Leitartikel
Familienpolitik

Es entscheidet
stets das Wohl
der Wirtschaft


Von Jürgen Liminski
20 Monate sind es noch bis zur Bundestagswahl, da muss man langsam wieder schauen, wie man größere Wählerschaften sammelt. Zu den größeren Gruppen gehören auch die Familien.
Erster Schritt: Die Lage sondieren. Das haben die Rotgrünen getan und festgestellt, dass die ihnen so teuren gleichgeschlechtlichen Partnerschaften das demographische Defizit nicht lösen können und dass die Deutschen ihr Glück zunehmend in der Geborgenheit der Familie suchen.
Die Union dagegen muss sich noch sortieren und will erst im Herbst größer in die Familienthematik einsteigen. Bis dahin dürfte sie ganz abgehängt sein, auch wenn sich das neue Flaggschiff, die Sozialministerin von Niedersachsen, Ursula von der Leyen, durchaus mit der Bundesfamilienministerin messen könnte. Aber sie steht ziemlich allein da und Frau Schmidt hat schon längst den zweiten Schritt getan. Sie ist zur Kampagne übergegangen und baut nun den Vorsprung vor der Union aus. Das neueste Stück ist der Familienatlas.
Der Familienatlas aus dem Hause Schmidt und Co. ist ein neutrales Dokument und als solches auch in Ordnung. Bedenklich ist die ideologisch verbrämte Interpretation. Denn wer sich die Schlussfolgerungen aus den Daten genauer anschaut, stellt fest: Nichts Neues unter der rotgrünen Sonne. Zum Beispiel: Einige Städte (Coesfeld, Göppingen, Heilbronn, Bad Dürkheim, etc.) seien zwar familienfreundlich, hätten auch eine hohe Geburtenrate und geringe Arbeitslosenquoten, aber eine »deutlich verbesserungsfähige Betreuungsstruktur«.
Hier wird das Pferd mal wieder ideologisch aufgezäumt. Statt aus den Fakten zu schließen, dass die Betreuungsstruktur nicht entscheidend ist für die Erfüllung des Kinderwunsches - sonst gäbe es ja in diesen Städten nicht überdurchschnittlich viele Kinder - wird mit einem Blick in die Zukunft suggeriert, dass ohne mehr Kita-, Krippen- und Kindergartenplätzen es ganz schlimm wird. Denn der Wirtschaft fehlten künftig die Fachkräfte und das seien die Frauen. Die könnten aber nur in die Betriebe, wenn die Kinder fremdbetreut würden.
In dieser Begründung steckt auch der zweite Pferdefuß der rotgrünen Familienpolitik: Wirtschaft hat Vorfahrt. Nicht das Wohl des Kindes (die Präsenz der Mutter oder einer »hingebungsvollen Bindungsperson« wie die weltweit bekannte Bindungsforscherin Karin Grossmann sagt) ist entscheidend, sondern das Wohl der Wirtschaft (Fachkräftemangel).
Das erinnert fatal an die Losung der Genossen Marx und Engels: »Erziehung und Fabrikation zusammen«. Man sollte das Frau Schmidt nicht unterstellen, sie meint es gut. Aber gut gemeint muss nicht dem Kindeswohl entsprechen.
Das Schlimme ist eigentlich, dass die Opposition in Berlin es nicht besser weiß und keine Alternative bietet. So drängt sich die Vermutung auf, dass das Kindes-und Familienwohl der Oppositionsspitze Merkel, Westerwelle und Stoiber ziemlich egal ist.

Artikel vom 24.01.2005