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In die »Feueröfen des Bösen« schauen

SS-Mann Kurt Gerstein leistete Widerstand aus christlicher Überzeugung

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Hinter Auschwitz und den anderen Synonymen der Massenvernichtung steht in Westfalen immer auch ein Name: Kurt Gerstein - ein SS-Mann, der Zersetzung und Widerstand aus christlicher Überzeugung leistete.
WESTFALEN-BLATT-SerieFolge 4
Der 1905 in Münster geborene Kurt Gerstein, seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP, protestierte offen gegen die Auflösung der evangelischen Jugendbünde durch die Nationalsozialisten. Er gehörte bald der Bekennenden Kirche an. 1936 wurde er aus der NSDAP ausgeschlossen und kam in Haft, 1938 in ein Konzentrationslager.
Was dann geschah, beschreibt der Bielefelder Gerstein-Forscher Professor Bernd Hey so: »Er trat im März 1941 in die Waffen-SS ein. Natürlich haben seine Freunde und Bekannten diesen Schritt zunächst nicht verstanden, doch hat Gerstein schon damals ihn mit jener Absicht erläutert, die er später auch in seinem berühmten Bericht genannt hat, nämlich einen Blick hinter die Kulissen in die ÝFeuerofen des BösenÜ zu tun, um herauszubekommen, was wirklich geschah.«
Gerstein schaffte es, beim Hygiene-Institut der Waffen-SS Karriere zu machen. Es bekämpfte mehrfach Fleckfieber- und Typhus-Epidemien erfolgreich. Als Chef der Abteilung »Gesundheitstechnik« erhielt er dann den dienstlichen Auftrag, bei Erprobungen des Zyklon-B-Gases, mit dem in Belzec und Treblinka Häftlinge umgebracht wurden, anwesend zu sein.
Im August 1942 gab er sein Wisssen an den schwedischen Gesandtschaftsrat Baron von Otter mit der Bitte weiter, diese an das Ausland zu leiten. Das geschah auch. Hey: »Ein Versuch, in ähnlicher Absicht den Apostolischen Nuntius in Berlin zu treffen, scheiterte. Doch ist belegt, dass Kurt Gerstein die Spitzen der Bekennenden Kirche, Mitglieder des niederländischen Widerstandes und den Schweizer Diplomaten Paul Hochstrasser informiert hat.«
Die Tarnung als »Spion Gottes« (sein französischer Biograph Piere Joffroy) hat Gerstein bis Kriegsende durchgehalten. In französischer Haft von April bis Ende Mai 1945 verfasste er einen Augenzeugenbericht seiner Erlebnisse in Belzec und Treblinka. Als der Widerständler aber plötzlich unter Kriegsverbrecheranklage gestellt wurde, erhängte er sich im Pariser Militärgefängnis Cherche-Midi am 25. Juli 1945.
Längst hatte Baron von Otter die Suche nach ihm eingeleitet, Gerstein sollte als Zeuge im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess aussagen... Seine Rehabilitierung erfolgte viele Jahre später auch Dank des Einsatzes vom westfälischen Präses Ernst Wilm.
Vom 30. Januar an erinnert das Erich Maria Remarque-Friedenszentrums in Osnabrück an Gerstein. Gezeigt wird die in Bielefeld bekannte Ausstellung »Widerstand in SS-Uniform« aus dem Archiv der Evangelischen Landeskirche von Westfalen.

Artikel vom 26.01.2005