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Klagerecht nach der Absage

Gesetz gegen Benachteiligung stößt auf Entsetzen wie auf Zustimmung

Von Reinhard Brockmann
Berlin (WB). Das von Rot-Grün geplante Antidiskriminierungsgesetz stößt gleichermaßen auf Entsetzten wie auf Zustimmung.

Während Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände den Entwurf begrüßten, lehnten Union, FDP und Wirtschaftsvertreter das Vorhaben scharf ab. Der Gesetzentwurf wurde am Freitag in erster Lesung im Bundestag beraten.
Im Gesetzenetwurf heißt es, Benachteiligungen sollten verhindert oder beseitigt werden, wenn sie Menschen wegen ihrer Rasse, Religion, ihres Geschlechts, Alters oder einer Behinderung entstünden. Dies soll auch außerhalb des staatlichen Sektors im Privat- wie im Geschäftsleben, im Bildungsbereich sowie bei sozialen Vergünstigungen gelten.
Neben Regelungen zur Entschädigung und zum Schadensersatz enthält der Entwurf Vorschriften zum Schutz vor Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr. Ferner ist vorgesehen, beim Bundesfamilienministerium eine Antidiskriminierungsstelle einzurichten.
Ostwestfalens Handwerkspräsidentin Lena Strothmann, die für die CDU im Bundestag sitzt, begrüßte europaeinheitliche Regelungen ausdrücklich, wendete sich aber gegen eine weitergehende Regelungsdichte sowie ausufernde Vorschriften. Arbeitslose dürften nach Strothmanns Einschätzung künftig ihre aufwändigen Bewerbungsmappen kaum zurückerhalten, weil Betriebe nach Neueinstellungen grundsätzlich mit Klagen rechnen müssen. Wenn sich nach einer Ablehnung Männer oder Frauen, Deutsche oder Ausländer, ältere oder jüngere Bewerber diskriminiert fühlten, müsse jeder Areitgeber bis zum Ablauf der Verjährung mit einer Verhandlung rechnen, sagte sie.
Der Vorsitzende der Unions-Mittelstandsvereinigung (MIT), Peter Rauen (CDU), unterstrich, der Entwurf sei »eine bürokratische Katastrophe und ein potenzieller Arbeitsplatzkiller«. Für viele drohe die Beweislastumkehr »zur Diskriminierungsfalle« zu werden.
Der FDP-Parlamentarier Heinrich Kolb betonte, der Abbau von Diskriminierungen lasse sich nicht allein per Gesetz verordnen. Der FDP gehe es um eine »Eins-zu-Eins«-Umsetzung der EU-Richtlinie, »nicht weniger, aber auch nicht mehr«.
Die Koalition verteidigte den Entwurf hingegen als »ausgewogenen Kompromiss« zwischen einem wirksamen Schutz vor Diskriminierung und dem Bestreben, die Wirtschaft nicht unnötig zu belasten. Warnungen vor einer »Prozessflut« seien »nichts als Propaganda«, sagte Olaf Scholz (SPD).
Der Grünen-Rechtsexperte Volker Beck listete Diskriminierungen auf. Es komme immer noch vor, dass Frauen höhere Tarife bei Kranken- oder Lebensversicherungen zahlen müssten, Homosexuellen Lebensversicherungsverträge verweigert würden, ausländisch aussehende Männer nicht in die Disco kämen oder behinderte Menschen nicht in ein Ferienhotel aufgenommen würden. »Das wollen wir abstellen«, unterstrich Beck.
Die Grünen-Chefin Claudia Roth führte den Widerstand der Wirtschaft darauf zurück, dass in der Vergangenheit »ruhig mal losdiskriminiert wurde«. Mit dem Gesetz wolle man nicht einzelne Gruppen privilegieren, sondern auf die »umfangreiche Diskriminierungsrealität« in Deutschland reagieren.
Der Sozialverband VdK und die Volkssolidarität sagten Rot-Grün Unterstützung für die Umsetzung des Entwurfs zu. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) sprach von einem »deutlichen Fortschritt«.
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Artikel vom 22.01.2005