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Leitartikel
Große und andere Geister

Statt Ebert »arbeitslose«
Nebenhöhlen


Von Rolf Dressler
Große Welt. Kleine Welt. Reich an Geist. Arm an Geist. Es ist - frei Haus - einfach alles im An- gebot. Auf dem Basar der Politik genauso wie im richtigen Leben. Denn beide ähneln sich auf verblüffende Weise - und sind in vielem dennoch saturnweit von einander entfernt. Mindestens.
Folglich gerät die Wundertüte immer wieder zur Verwunderungstüte. Denn wir, die Zaungäste, fühlen uns hin- und hergeworfen, wissen bisweilen kaum mehr, wer eigentlich welche Richtung vorgibt, woran also man sich überhaupt noch verlässlich orientieren kann als Werktätiger und als Unternehmer, als verunsicherter Versicherter wie als Steuer- und Zwangsabgabenzahler in Zeiten moderner Wegelagerei von Staats wegen.
Karikaturisten haben deswegen naturgemäß Hochkonjunktur. Da legt zum Beispiel der Zeichner der »Frankfurter Allgemeinen« dem amtierenden Herrn Bundeskanzler Gerhard Schröder diese flockige Sprechblase in den Mund: »Die 500 Millionen für die Flutopfer in Südost-Asien finanzieren wir durch Streichung unseres Nationalfeiertages. Den brauchen wir nicht mehr, schließlich sind wir jetzt eine Welt!«
Und der Kollege Humorist der »Süddeutschen Zeitung« lässt den Herrn Bundestagspräsidenten und Sitzungsleiter Wolfgang Thierse während der Rede eines Parlamentariers sinnfällig einwerfen: »Herr Abgeordneter Meyer-Volkswagen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bayer-Siemens?«
Kurios bis ärgerlich indes wird es, wenn der gemeine Normalbürger sich etwa von SPD-Entwicklungshilfe-Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul verbal-akrobatisch wie folgt belehren lassen muss: Es sei sehr wohl angemessen, dass selbstverständlich »die Steuerzahler« jene 500 Millionen Euro aufbrächten, die der Kanzler für die Opfer der Tsunami-Flutkatastrophe zugesagt habe. Umwerfend allerdings die Begründung der Frau Minister: »Die Bevölkerung« habe ja eine ganz und gar außerordentliche Spendenfreudigkeit gezeigt.
»Wie bitte?« dürfte sich da so mancher hellwache Zeitgenosse fragen. Denn nach bislang gängigem Verständnis waren Steuerzahler und Bevölkerung doch eine und dieselbe Spezies.
Und was die zu vielen und reichlich penetranten Flunkereien in Sachen »arbeitslose« Neben(höhlen)einkommen heutiger politischer Mandatsträger anbetrifft: In einem Brief an den damaligen »hochgeehrten Herrn Reichskanzler« vom 23. Oktober 1923 schrieb der ehemalige Reichspräsident Friedrich Ebert, ein hochangesehener Sozialdemokrat, angesichts der finanziellen Krisenlage des Deutschen Reiches werde er »mit Ablauf dieses Monats bis auf weiteres auf die Hälfte der mir zuste- henden Aufwandsgelder verzichten. Ich bitte Sie, den Herrn Reichsfinanzminister entsprechend zu verständigen...«
Gewiss, gewiss, das ist lange, schon sehr lange her. Und doch wirft es auch ein Schlaglicht auf den Unterschied zwischen großen Geistern und weniger großen.
Die Zeiten ändern sich. Wir Menschen wandeln uns nur bedingt. Das lehrt die Erfahrung.

Artikel vom 22.01.2005