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Zellen für Mäuseherzen
aus dem Uni-Labor

Sylvia Niebrügge forscht an Stammzellen

Von Sabine Schulze (Text) und Bernhard Pierel (Foto)
Bielefeld (WB). 280 000 Menschen erleiden in Deutschland jedes Jahr einen Herzinfarkt. Vielfach stirbt dabei Herzgewebe ab oder bleibt vernarbt und funktionsunfähig. Der Traum der Mediziner ist es, dieses Gewebe durch gesunde Zellen zu ersetzen. Bei Mäusen klappt das bereits: Im Labor für Zellkulturtechnik der Technischen Fakultät werden pulsierende Herzmuskelzellen der kleinen Nager gezüchtet.

Das »Rohmaterial« für diese Zellen sind embryonale Stammzellen der Maus. Unter Leitung von Prof. Dr. Jürgen Lehmann befasst sich seit drei Jahren ein Forschungsprojekt mit diesen Zellen, die ein besonderes Potenzial haben: Aus ihnen kann jeder mögliche Zelltyp des »Mäuse«-Körpers werden: Nervenzellen ebenso wie Hautzellen, Knochenzellen - oder eben Herzmuskelzellen, die vielleicht einmal bei der Therapie des Herzinfarktes eingesetzt werden können.
Eines der Probleme auf dem Weg dorthin: die Kultivierung dieser embryonalen Stammzellen. »Sie wachsen sehr schnell, aber undifferenziert«, erklärt Sylvia Niebrügge, die in der Arbeitsgruppe Zellkulturtechnik zu diesem Thema promoviert. In welche Richtung sich die Stammzellen entwickeln, kann sie kaum beeinflussen. »Eine Mixtur verschiedener, spezialisierter Zellen einem Herzpatienten zu transplantieren verbietet sich aber«, sagt Niebrügge. Zu groß ist das Risiko der Tumorbildung.
Die Wissenschaftler greifen also zu einem Trick, um alle Zelltypen herauszufiltern, die unerwünscht sind. Sie nutzen die Resistenz gegen eine Behandlung mit einem Antibiotikum, die alle Zellen aus den Herzmuskelzellen eliminiert. Sie alleine bleiben als fast reine Population übrig.
»Entscheidend ist aber auch die Menge der Zellen, die gezüchtet werden kann«, sagt Sylvia Niebrügge. Gewöhnlich wird bei einem Herzinfarkt viel Gewebe geschädigt, pro Patient wären etwa eine Million Zellen nötig. Die sind im Bielefelder Labor durchaus zu gewinnen: Die »Bioreaktoren«, in denen sie gezüchtet werden, können bis zu 100 Liter einer Kultur fassen; gearbeitet wird aber derzeit mit einem kleineren Kultivierungsgefäß. Außerdem, betont die Doktorandin, sei das System geregelt und geschlossen, die Bedingungen der Züchtung also gut zu kontrollieren.
Die in Bielefeld gewonnen Mäuse-Herzmuskelzellen werden zur Universität Halle-Wittenberg gebracht: Dort werden sie in Mäuseherzen transplantiert, in denen zuvor künstlich ein Infarkt ausgelöst wurde. Die ersten Ergebnisse sind gut: Die Zelltransplantation stärkte die Herzfunktion, das vernarbte Muskelgewebe wurde zum Teil ersetzt.
Das ist vielversprechend, und das Prinzip ist durchaus auch auf Menschen zu übertragen, sagt Sylvia Niebrügge - um ein großes Aber anzuknüpfen: »Die Mechanismen der Differenzierung von Stammzellen sind beim Menschen andere, die Forschung mit Humanzellen ist noch nicht so weit, und neben rechtlichen Problemen gibt es eine Reihe von Gefahren, die noch nicht beherrscht werden.«
Statt der embryonalen Stammzellen könnte man auch weiter differenzierte Zellen eines Patienten nutzen, haben die Forscher überlegt - zum Beispiel Skelettmuskelzellen. »Quasi eine Eigenspende.« Der Nachteil: Dieser Zelltyp hat zwar stützende Funktion und kann vernarbtes Gewebe ersetzen, »aber die Reizleitungen sind andere, es kann zu Herzrhythmusstörungen kommen.« Ihr Verfahren, betont sie, sei ein erster Schritt und eine von vielen Ideen zur Infarkttherapie. »Aber in zehn Jahren kann man schon viel weiter sein.«

Artikel vom 28.01.2005