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Beim Gleisbau anständig Muskeln bekommen

Die Jobs der Professoren (Folge 8): Dr. Raimund Kisse vom Fachbereich Maschinenbau der FH


Bielefeld (sas). Jobben war auch für die Professoren von heute während ihrer Studienzeit vielfach eine Selbstverständlichkeit. Zu denen, die sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen mussten, gehörte Prof. Dr. Raimund Kisse. Er studierte an der Universität Magdeburg Maschinenbau und lehrt seit August 1990 an der Fachhochschule Bielefeld am Fachbereich Maschinenbau Konstruktionslehre und Technische Mechanik.
»Ich habe als Student beim Gleisbau und als Kellner gearbeitet«, erzählt er. Jeweils acht bis zwölf Wochen lang hat er Anfang der 70er Jahre drei Sommer hintereinander beim Gleisbau gejobbt. »Wir mussten im Magdeburger Hafen alte Gleise und Weichen herausreißen und neue Gleise verlegen. Mit Maschinen kam man da nicht voran, wir waren ein Trupp von etwa 20 Gleisarbeitern.« Die Arbeit war durchaus körperlich anstrengend. »Aber man war ja noch jung. Außerdem bekam man davon Muskeln und wurde schön braun.« Ein Vorteil war zudem, dass die Arbeit einerseits gut bezahlt wurde, der junge Student Kisse andererseits aber auch Freifahrten der Bahn bekam. »Mit einem Teil meines Verdienstes habe ich Urlaub an der Ostsee gemacht«, erinnert er sich schmunzelnd. Angereist ist er natürlich mit der Bahn.
Gekellnert hat Raimund Kisse in einem Lokal mit dem Namen »Kulturhaus«. »Vor allem bei großen Feiern wie Hochzeiten oder Betriebsfesten bin ich auf Abruf eingesprungen und am Wochenende bei den Tanzabenden.« Dabei hat er auch gelernt, vier volle Teller elegant zu balancieren und unbeschadet zu den Tischen zu bringen. »Man musste nur aufpassen, dass man heil durchkam und nicht mit einem Gast zusammenstieß und die Suppe nicht an den Daumen schwappte«, erzählt er lachend.
Eine ebenso große Herausforderung aber war es, die Getränke an die langen Tische zu bringen. »Wenn man ein Tablett mit 40 Bieren trägt, ist das fast wie auf dem Oktoberfest.« Spannend war für den angehenden Ingenieur stets die Abrechnung: »Dann stellte man fest, ob man Trinkgeld übrig hatte oder sich so verrechnet hat, dass nichts blieb.« Die Erfahrung hat ihn geprägt: Er achtet auf Manieren, und wenn er heute ausgeht und merkt, dass er an einen studentischen Aushilfskellner geraten ist, hat der von vorne herein seine Sympathie - was sich aufs Trinkgeld auswirkt.
Auch wenn er wegen des Jobs selbst kaum an Tanzvergnügungen teilnehmen konnte, fand Kisse die Zeit als Kellner lehrreich. »Man lernt viel mehr Leute kennen als die Gäste.« Da gab es die ganz Großzügigen und andere, die zu vorgerückter Stunde schon mal Prügel androhten. Und es gab die Gelegenheit, Kontakte zur Damenwelt zu knüpfen. »Als Gast konnte man schon mal einen Korb bekommen. Aber mit dem Kellner spricht jeder...«

Artikel vom 21.01.2005