29.01.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Ich will noch etwas bewegen«

Günter Niermann ist auch im Ruhestand aktiv - Aufbau eines Kompetenznetzwerkes

Von Volker Zeiger
Enger (WB). »Die ersten beiden Tage waren schrecklich«, erinnert sich Günter Niermann. Vor acht Wochen schied er aus dem Berufsleben aus und ging in den Vorruhestand. Der 60-Jährige hatte von einem Moment auf den anderen keine feste, regelmäßige Arbeit mehr. »Monatelang habe ich mich auf den Tag vorbereitet - und trotzdem hat mich das Gefühl, nichts mehr im gewohnten Umfeld tun zu können, echt heruntergezogen.«

Dann habe ihn die Arbeitswut gepackt: »Ich will etwas bewegen, jetzt habe ich Zeit und kann es umso besser«, sagte er sich. Er baut Netzwerke auf, in denen Menschen jeden Altes ihr Wissen an andere weitergeben.
Das Fundament dafür legte Günter Niermann im Jahre 1998, als er in Enger den »Generationentreff« gründete. Es handelt sich um einen lockeren Zusammenschluss von Menschen unterschiedlichen Alters aus Interessengruppen und Vereinen, die sprichwörtlich nicht rasten wollen, weil sie sonst rosten würden. Die inzwischen drei Dutzend Beteiligten mobilisieren andere zu Veranstaltungen wie etwa Exkursionen oder sportlicher Aktivität.
Da ist zum Beispiel ein engagierter frühpensionierter Radfahrer, der von Anfang an dabei ist und seither immer einmal pro Woche mit bis zu 30 Personen, die zwischen 50 und 80 Jahre alt sind, kleine und große Radtouren unternimmt. Da ist zum Beispiel ein weibliches Organisationstalent, das alle paar Wochen zum Sonntagscafé oder zu Dienstagsfrüh-stückstreffen einlädt.
Die Fäden zu alldem hält Niermann in der Hand. Er regte auch vor sechs Jahren an, sich neuen Informationstechniken nicht zu verschließen, sondern für Ältere eine Plattform zu entwickeln, wo die Interessenten langsam, aber zielstrebig mit allem, was zum Thema Computer gehört, vertraut gemacht werden. »Ich will vor allem Bildung weitergeben«, begründet Niermann seinen Einsatz, der in die Zeit zurückreicht, als der examinierte Heimleiter hauptberuflich noch die Seniorenpflegeeinrichtung »Leben - Wohnen - Begegnen« in Enger leitete.
»Ich mache es, weil ich selbst Spaß daran habe. Und ich freue mich, wenn ich sehe, dass das ankommt, das Feedback ist nämlich grandios«, freut sich Niermann. Er erlebe immer wieder, dass die Menschen um ihn herum interessiert zuhören. »Das gibt einem etwas und es kommt doppelt zurück.«
Niermann plant ohne Unterlass weiter und entwickelt neue Ideen. »Ich initiiere und ich bin behilflich; diejenigen, mit denen ich zu tun habe, müssen wissen, dass im Hintergrund einer ist, der etwas bewegt.« Er will nun ganz gezielt Menschen im Vorruhestand »auf den Punkt bringen«.
Ein Polsterer, der in Rente geht, könnte, sagt Niermann, Lehrlingen etwas von seinem Wissen weitergeben. Die Aussage hat einen tiefen Grund. Als Niermann vor Jahrzehnten eine Ausbildung als Chemielaborant in einer großen Firma machte, erlebte er einige Tage lang einen Rentner, der jeden Morgen mit dem »Henkelmann« zur Arbeit kam, aber nichts zu tun bekam, sondern nur im Essen herumstocherte. »Eine Woche später war der Mann gestorben, weil er sich offenbar als nicht mehr gebraucht fühlte«, erinnert sich Günter Niermann. Das habe seine Auffassung bestätigt, »dass wir uns darauf vorbereiten müssen auf das, was später kommt - nämlich auf den Ruhestand« - dann dürfe man alles, eben nur nicht in Lethargie versinken.
Nur zwei Tage während seines eigenen Vorruhestandes vergaß Niermann diese Einstellung. Dann arbeitete er erst recht emsiger denn je. »Ich will jetzt Kompetenznetzwerke gründen, in denen diejenigen, die Lebens- und Berufserfahrung besitzen, ihr Wissen an Lehrlinge und Schüler weitergeben und wir gehen in Firmen«, kündigt er an.
Kompetente Hilfe fand er in dem weitaus älteren, aber sehr interessierten Mitarbeiter Gerd Haseldiek (70). Mit ihm zusammen wird zurzeit ein »Kompetenznetzwerk von Bürgern für Bürger« aufgebaut, das im Internet auf seine Angebote in Sachen Bildung und neuen Medien hinweist. Haseldiek verlinkt die Seiten der Generationentreffs miteinander; Niermann steuert neue Ideen bei: »Alt werden wir alle, aber alt sein wollen wir nicht, also müssen wir unser Geschick selbst in die Hand nehmen.«

Artikel vom 29.01.2005