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Leitartikel
Hilft nur ein Elends-Gau?

Abgestumpft
gegen das
tägliche Leid


Von Oliver Kreth
Sind 60 deutsche Tote und 600 Vermisste eine Katastrophe? Für die betroffenen Familien sicherlich. Aber deshalb fast den nationalen Notstand auszurufen, wie Bundesaußenminister Joschka Fischer es tat - das ist doch wohl etwas übertrieben.
Nun ist die daraus resultierende altruistische und karitative Motivation für private Geldgaben nicht zu tadeln. Im Gegenteil. Einen bitteren Beigeschmack hat die Spendenbereitschaft für Südasien aber doch: Bedarf es eines Elends-Gaus mit permanenter medialer Präsenz, um uns aus unserem Abgestumpftsein zu reißen?
Denn dass dies vorhanden ist, demonstrierten auch die Verantwortlichen des ZDF. Die untermalten bei einer Spenden-Gala (!) Hartmut Englers PUR-en Betroffenheitspop mit Bildern, die ertrinkende Menschen zeigten. Man kann das bewegend finden, aber wegen dieser Geschmacklosigkeit auch einen Brechreiz verspüren. Genau wie bei den Geld-Ranglisten: Welche Nation ist auf dem Gold-, Silber- und Bronze-Platz in der Disziplin »gute, bessere und beste Menschen«?
Noch übler wird es angesichts der machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen. Nun ist vor dem Hintergrund von Irak-Krise und Terror nachvollziehbar, dass sich die USA in dem bevölkerungsreichsten islamischen Staat (Indonesien) durch ihre Hilfe Positiv-PR versprechen, dass Firmen ihre wirtschaftlichen Interessen mit Spenden stützen und dass Joschka Fischer hofft, die ständige Mitgliedschaft im Weltsicherheitsrat würde durch einmalige Geldgaben auf Großmachts-Niveau näher rücken. Doch dann bitte ohne Betroffenheits-Gesülze. Denn das beleidigt die Opfer.
Und dass die Behauptung zumindest in Richtung deutsche Bundesregierung keine böswillige Unterstellung ist, kann man recht einfach belegen: Schließlich wurde 2004 nicht einmal 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe ausgegeben. Dabei hatte Deutschland dies schon vor zehn Jahren den Vereinten Nationen zugesagt.
Und nicht nur diese Gelder werden vielerorts dringend benötigt. So verhungern jedes Jahr allein südlich der Sahara zig Millionen Menschen. Mindestens 800 Millionen haben nicht genügend zu essen. Noch mehr Menschen fehlt sauberes Wasser. Von einer ausreichenden medizinischen Versorgung ganz zu schweigen.
Zum schlechten Schluss sind noch mehr Horrorzahlen zu verdauen. Durch den Tsunami am 26. Dezember 2004 sind 220 000 Menschen gestorben. Von diesem Tag bis zum 26. Januar 2005 werden weltweit 2 300 000 Menschen, darunter 500 000 Kinder unter fünf Jahren, verhungert sein. Das entspricht den Auswirkungen von 14 Flutwellen. Diese grausige Ernte fährt der Hunger-Terror jeden Monat ein. Seit Jahrzehnten. Wann aber werden für diese Menschen Schweigeminuten von der luxemburgischen EU-Ratspräsidentschaft angeordnet? Angeblich gibt es doch keine Menschen und Toten zweiter Klasse.

Artikel vom 21.01.2005