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Einberufungspraxis verstößt
nicht gegen das Grundgesetz

Wehrpflicht: Bundesverwaltungsgericht weist Kölner Fall zurück

Von Dirk Schröder
Leipzig (WB). Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat gestern die Klage eines 22-jährigen Wehrpflichtigen gegen die Einberufungspraxis der Bundeswehr zurückgewiesen. Die gegenwärtige Praxis verstoße nicht gegen das Grundgesetz. Der 6. Senat sah jedoch die Wehrgerechtigkeit teilweise verletzt.

Die Richter erklärten, dass sich bei der gegenwärtigen Praxis eine Lücke auftun könne zwischen den verfügbaren Wehrdienstfähigen und den tatsächlich Einberufenen. Dies könne dazu führen, dass die Wehrgerechtigkeit nicht mehr gegeben sei.
Das Gericht wies den Fall zurück an das Verwaltungsgericht Köln. Die Kölner Richter hatten in im April vergangenen Jahres in einem Aufsehen erregenden Urteil einen 22-jährigen Politikstudenten und FDP-Kreistagsabgeordneten vom Wehrdienst freigesprochen. Begründung: Die Einberufung zum Bund sei »willkürlich«. Die Wehrgerechtigkeit sei faktisch aufgehoben, urteilten die Kölner Richter. Durch die Bundeswehr-Richtlinien von 2003 würde nur noch jeder dritte Wehrpflichtige einberufen.
Willkür habe in diesem Fall aber nicht vorgelegen, erklärten dagegen die Leipziger Richter. In der mündlichen Verhandlung betonte der Vorsitzende Richter Franz Bardenhewer, zwar würden in der derzeitigen Einberufungspraxis die Ausnahmefälle erheblich ausgeweitet. Diese hätten jedoch einen sachbezogenen Hintergrund und seien deshalb nicht willkürlich.
Der Vertreter des Bundes, Thomas Kunze, kritisierte das Urteil der Vorinstanz, das »große Vorbehalte gegen die Wehrpflicht« offenbare. Das Verwaltungsgericht Köln habe die Gefahr einer Erosion der Wehrpflicht in Kauf genommen. Wenn die Bundeswehr nicht mehr funktionsfähig wäre, sei die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands gefährdet.
Im vergangenen Jahr dienten bei der Bundeswehr knapp 267 000 Soldaten, davon waren 73 000 Wehrpflichtige. Dem standen, so die Kritiker der Wehrpflicht, 437 000 erfasste wehrpflichtige Männer des Jahrgangs 1986 gegenüber, von denen ein Viertel als nicht dienstfähig ausgemustert wurde. Abzuziehen seien 145 000 Wehrdienstverweigerer sowie Abgänge zu Polizei und Bundesgrenzschutz. Zudem müssten Wehrpflichtige mit Tauglichkeitsgrad 3 sowie Verheiratete momentan nicht mehr zum Bund. Als tatsächliches Aufkommen für die Bundeswehr seien etwa 120 000 Wehrpflichtige geblieben. Von diesen seien 73 000 tatsächlich angetreten, was einem Anteil von 17 Prozent an allen erfassten Wehrpflichtigen entspreche.
Diesen Zahlen stellte das Bundesverteidigungsministerium gestern den »Ausschöpfungsrest« gegenüber - also jene Männer eines Gesamtjahrganges, die letzlich nicht zum Wehrdienst herangezogen werden. Diese Quote lag für die Geburtsjahrgänge 1975 bis 1980 zwischen 2,8 und 7,2 Prozent. In den kommenden Jahren wird mit zehn Prozent gerechnet.
Zur Erläuterung hieß es weiter, die Wehrpflichtigen eines Geburtsjahrgangs stünden nicht nur während eines Jahres, sondern grundsätzlich während eines Zeitraums von fünf Jahren - vom 18. bis zum 23. Lebensjahr - zur Ableistung des Grundwehrdienstes heran. Die Ausschöpfung einzelner Geburtsjahrgänge könne daher immer erst nach Vollendung des 23. Lebensjahres beurteilt werden.
Die Rechnung für den Jahrgang 1980 lautet daher: 440 158 junge Männer erfasst. Verfügbar davon seien 169 220 gewesen. 137 531 hätten Wehrdienst geleistet, 127 821 Grundwehrdienstleistende sowie 9710 Soldaten auf Zeit. Der »Ausschöpfungsrest« habe 31 689 oder 7,2 Prozent betragen.
Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) sieht sich durch das Urteil bestätigt. »Ich begrüße die Entscheidung. Sie bestätigt meine Auffassung, dass die jetzige Einberufungspraxis den Prinzipien der Wehrgerechtigkeit entspricht.« »Struck ist noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen«, sagte der Verteidigungsexperte der CDU/CSU-Fraktion, Christian Schmidt (CSU). Nicht mit Interviews, sondern nur mit Konzepten könne Struck die Wehrgerechtigkeit wieder herstellen.

Artikel vom 20.01.2005