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Herr Krawalli sorgt für jede Menge Spaß

Der gelernte Erzieher Andreas Wetzig aus Bielefeld hat eine erfolgreiche Ich-AG gegründet

Von Matthias
Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Es gibt einen Ausweg aus Hartz IV, ALG2 und wie die bedrohlichen Kürzel auf dem kollabierenden Arbeitsmarkt alle heißen: Man geht in die Fußgängerzone und zündet sich an. Andreas Wetzig hat das schon oft gemacht.

Irgendwann hatte der Kinderschutzbund kein Geld mehr, um den gelernten Erzieher weiter zu beschäftigen, das Fachhochschulstudium der Sozialwissenschaft hat er »erfolgreich abgebrochen«, die Tischlerei löste sich auf, kaum dass er dort die Gesellenprüfung abgelegt hatte, und - damit schließt sich der Kreis -Êdie Diakonie gab bald auch kein Geld mehr für den Kinder- und Jugendarbeiter Andreas Wetzig aus. Es wurde Zeit für den Auftritt des Herrn Krawalli.
Ich könnte es ja mal als Kellner versuchen, dachte sich der heute 40-jährige Detmolder, der in Blomberg aufwuchs und 1995, der Liebe wegen, nach Bielefeld zog. Gesagt, getan: Feiert irgendwo ein Betrieb Weihnachten, tauscht Herr Krawalli volle Aschenbecher aus - gegen noch vollere. Trifft sich die Verwaltungsspitze eines Konzerns zum Dinner, schaufelt Herr Krawalli Essensreste in seine mitgebrachte Tupperdose. Und bevor ein Raucher, voll des süßen Weines, das Tischtuch ankokelt, drückt Herr Krawalli die Kippe lieber in seiner Handfläche aus.
Manchmal versucht sich Andreas Wetzig alias Herr Krawalli auch an einer Feuerjonglage in der Fußgängerzone, und wenn die Kinder furchtsam gucken, kräht er: »Keine Angst! Ich bin Komiker! Es ist lustig, wenn ich brenne!« Dann kichern die Kinder, und die Eltern grinsen, und Andreas Wetzig lacht sowieso schon seit April 2004 pausenlos: »Da habe ich mich mit einer Ich-AG als Komiker und Jongleur selbständig gemacht.«
So Pi mal Daumen für 90 Auftritte wurde Herr Krawalli im vergangenen Jahr gebucht, »und jetzt, da der Januar noch nicht vorbei ist, stehen bereits 16 öffentliche Termine in meinem Kalender - von Gastspielen in geschlossenen Gesellschaften gar nicht zu reden.«
Andreas Wetzig kann also eine Erfolgsgeschichte erzählen. Aber allen, die jetzt glauben, sie bräuchten bloß ein paar Kinder hochzuwerfen (echt wahr: mit Kindern hat Herr Krawalli auch schon jongliert), um mit ihrer Ich-AG Furore zu machen, rät Wetzig zu mehr Ernsthaftigkeit. Denn beim Aufbruch in die Selbständigkeit wollen viele Dinge beachtet werden.
»Ganz wichtig ist ein privates Netzwerk«, legt der Kleinkünstler los. »Wenn ich wegen eines bereits besetzten Termins einen Auftrag absagen muss, kann ich mehrere Kollegen nennen, die für mich einspringen.« Der Einzelkämpfer, der eifersüchtig über die eigene, dünne Kundenkartei wacht, hat als Ich-AGler null Chance.
So ein Netzwerk entsteht nicht über Nacht - Andreas Wetzig ist schon vor fast 20 Jahren als Kinderclown aufgetreten und kennt sich aus in der Szene. »Man braucht Standvermögen und viel Liebe zu dem Metier, in dem man sich einen Namen machen will.«
Die Liebe zur Selbständigkeit bedeutet nicht zuletzt: Einsatz. »Werktags gehe ich auf Kundensuche, entwerfe und verschicke Werbematerial, feile an meiner Website, entwickle und übe mein Programm. Von Freitag bis Sonntag bin ich dann zu Auftritten unterwegs.«
Ein angestellter Hausmeister mag ja Punkt 16 Uhr die Leiter zusammenklappen und den grauen Kittel ausziehen. Herr Krawalli dagegen, der auch als penibles Faktotum, als gnadenloser Mr. Wichtig vom Werkschutz und als selbsternannter Gartenexperte durch die Repu-blik geistert, kennt keinen Achtstundentag. »Dafür bin ich flexibel und teile mir meine - knapp bemessene -Ê Freizeit nach Bedarf ein.«
Bloß auf den Mann von der Arbeitsagentur zu vertrauen, »ist ein bisschen einseitig«, findet Andreas Wetzig. Um informiert zu sein, hat er sich aus den Ministerien von Bund und Land Broschüren zum Thema Ich-AG schicken lassen. Da wird vom Eigenkapitalbedarf bis zur Rentabilitätsprognose alles durchgekaut, was die Teilnahme am globalen ökonomischen Wettbewerb so dröge macht. »Aber es hilft ja nichts - wenn das Finanzielle nicht stimmt, geht die schönste Ich-AG vor die Hunde.«
»Was machen Sie eigentlich hauptberuflich?« Wenn die Kunden so fragen, gehen alle Betriebssysteme auf Rot. »Mit solchen Bemerkungen erklärt man die dargebrachte Leistung schlicht für unprofessionell«, sagt Andreas Wetzig. Er selber darf sich über andere Reaktionen freuen - seine Kunden konnten sich Herrn Krawalli gar nicht anders vorstellen denn als Berufschaoten. »Das stärkt das Selbstbewusstsein«, versichert der Gelobte.
Ohne Zuspruch seiner Freundin wäre Andreas Wetzig der Sprung ins kalte Wasser deutlich schwerer gefallen. »Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn die Familie ständig über deine Arbeitszeiten nörgelt.« Und frohgemut wirbelt Herr Krawalli einen Tennisschläger, eine Machete und ein Plastikhähnchen durch die Luft.
Die zündende Idee aber, die Phantasie, ist wohl das Wichtigste. Andreas Wetzig weiß zwar, dass er eine Nische besetzt hält, gerade in wirtschaftlich harten Zeiten, in denen alles Kulturelle als überflüssig gilt. Aber der Auftritt beim öffentlichen »Event« kann nicht alles gewesen sein, »auch wenn ich den Kaufleuten einen Mehrwert verschaffe, von dem sie mir dann etwas abgeben«.
»Ich könnte zum Beispiel leerstehende Geschäftsräume bespielen«, regt Herr Krawalli an. Dann würden die Passanten nicht länger durch verödete Innenstädte schlurfen, sondern hätten was zu lachen - zum Wohle der umliegenden Läden. Aber bislang war seinen ans Konventionelle gewöhnten Gesprächspartnern diese Idee offensichtlich zu kreativ.
Für alle, denen Andreas Wetzigs optimistischer Blick auf die Welt gefällt: Anruf unter 05 21 / 5 21 25 13 genügt. Und wenn Sie ein hoffnungslos verschaltes Bier vor sich haben - bloß nicht wegschütten! Herr Krawalli kommt und schäumt es Ihnen wieder auf . . .
www.krawalli.de

Artikel vom 29.01.2005