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»Chemo« gezielt zum Krebs bringen

Prof. Dr. Norbert Sewald erforscht Chancen des »Tumor-Targeting«


Bielefeld (sas). »Chemo« ist eine der bewährten Standardtherapien bei Krebs. Aber nicht alle Tumorzellen reagieren auf herkömmliche Chemotherapien; ihnen kommt man oft nur mit hochgiftigen Wirkstoffen bei. Die allerdings haben meist den Nachteil schwerster Nebenwirkungen. »Unser Ziel ist daher, Medikamente gezielt nur am Krankeitsherd wirken zu lassen«, sagt Prof. Dr. Norbert Sewald. Der Chemiker der Universität Bielefeld arbeitet mit seiner Gruppe am »Tumor-Targeting«.
Konkret: Sewald will das vermutlich hochwirksame Chemotherapeutikum Cryptophycin mit einer molekularen Erkennungssequenz verbinden. Die wiederum soll das Antikrebsmittel, einen hochtoxischen Naturstoff, der von der Blaugrünalge produziert wird, direkt zum Tumor schleppen. »Die Erkennungssequenz funktioniert quasi wie ein Adressaufkleber, der dafür sorgt, dass das Medikament in den richtigen Briefkasten geworfen wird und erst dort wirkt«, erläutert Sewald.
Dabei wollen sich die Chemiker bestimmte physikalisch-chemische Eigenschaften der Sequenz, aber auch des Tumors und seiner Umgebung (die zum Beispiel einen höheren Säurewert hat als gesundes Gewebe) zunutze machen. Ist das Chemotherapeutikum an Ort und Stelle, spaltet sich die Erkennungssequenz, die als Bote fungiert hat, ab und wird vom Körper abgebaut. Erst durch die Abspaltung wird das Cryptophycin dann wirksam.
»In vitro«, also in der Zellkultur ist die hohe Wirksamkeit der Substanz bereits bewiesen. Selbst Tumorzellen, die gegen herkömmliche Chemotherapeutika eine Resistenz entwickelt haben, gingen ein. Und auch im Tierversuch mit Mäusen, denen mehrfach resistente Tumorzellen implantiert worden waren, war es wirksam. Klinische Studien waren aber enttäuschend: »Die auf Cryptophycin basierenden Wirkstoffe sind so giftig, dass nur geringe Dosen möglich sind.« Und die reichten nicht aus, um die Krebsgeschwüre zurückzudrängen.
Insofern hoffen Sewald und seine Kollegen auf die »Huckepack-Methode«, die durch das gezielte Attackieren des Tumors eine höhere Dosis erlaubt und Nebenwirkungen vermindert. »Sie wird in der Wissenschaft stark diskutiert und scheint ein Verfahren der Zukunft zu sein.« In Bielefeld wird Grundlagenforschung geleistet; die Arbeitsgruppe von Sewald versucht in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt nicht nur das Prinzip aufzuzeigen, sondern in den kommenden anderthalb Jahren auch ein geeignetes Verfahren zu entwickeln.

Artikel vom 24.01.2005