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Werber seines Landes und Werkes

Der Dichter und Priester Ernesto Cardenal wird heute 80 Jahre alt

Von Klaus Blume
Mexiko-Stadt (dpa). Die Revolution der Sandinisten machte Ernesto Cardenal vor rund einem Vierteljahrhundert international berühmt. Nach dem Sturz des Diktators Anastasio Somoza 1979 wurde der Dichter und Priester in Nicaragua Kulturminister.

Inzwischen ist es um den Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels von 1980 ruhiger geworden. Baskenmütze, Bauernhemd und Sandalen sind noch immer seine Markenzeichen. Heute wird Ernesto Cardenal 80 Jahre alt. Er wurde in einer wohlhabenden Familie in Granada am großen Nicaraguasee geboren. Er ging auf ein Jesuitenkolleg und studierte später Philosophie, Literaturwissenschaft und Theologie in Mexiko, in den USA und in Kolumbien. Schon als Schüler schrieb er seine ersten Liebesgedichte. 1957 trat er in ein Trappistenkloster in den USA ein, gab das Noviziat aber nach zwei Jahren wieder auf. 1965 wurde Cardenal in Managua zum Priester geweiht. Schon zuvor hatte er sich dem Widerstand gegen die Familiendiktatur der Somozas angeschlossen.
Für den Priester gab es keinen Widerspruch zwischen christlichem Heilsversprechen und marxistischem Kollektivismus - er schien vielmehr das Reich Gottes im irdischen Kommunismus verwirklicht zu sehen. 1966 hatte er auf einer Insel des Solentiname-Archipels im Nicaraguasee eine an urchristlichen Vorstellungen ausgerichtete Kommune eingerichtet und darüber in seinem »Evangelium der Bauern von Sonlentiname« (1975, dt. 1977) berichtet. 1970 besuchte er zum ersten Mal für mehrere Monate Kuba und veröffentlichte danach sein »Kubanisches Tagebuch« (1972, dt. 1980) - eine naive Verklärung der totalitären Diktatur. Seinen kommunistischen Idealen ist Cardenal bis heute treu geblieben, auch wenn er 1994 mit den Sandinisten brach.
Politisch blieb Cardenal in der Sandinistenfront einflusslos und wurde von Kritikern als pures Aushängeschild der »Comandantes« betrachtet. Dafür warb er auf Auslandsreisen, die ihn oft nach Deutschland führten, mit Erfolg für sein Land und sein Werk.
Zu den Frühwerken Cardenals zählen die »Salmos« (Psalmen, 1961, dt. 1979), die in etwa 20 Sprachen übersetzt wurden, und seine »Oración por Marilyn Monroe« (Gebet für Marilyn Monroe). Anfang der 90er Jahre machte er mit dem großen Gedichtzyklus »Cántico Cósmico« (dt. »Gesänge des Universums«, 1995) Furore. Im vorigen Jahr erschien unter dem Titel »Im Herzen der Revolution« der dritte Teil seiner Memoiren. Der rüstige alte Mann denkt auch zum 80. Geburtstag noch nicht an den Ruhestand. In Managua betreibt Cardenal eine Galerie, in der er auch eigene Plastiken verkauft.

Artikel vom 20.01.2005