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Sieben Flaschen Korn als nötige Ration für einen Tag

Tod eines obdachlosen Alkoholikers nach der Heroinspritze

Bielefeld (uko). Der Tod eines obdachlosen Trinkers und Drogenabhängigen gibt vor dem Landgericht Bielefeld seit Dienstag einen nie vermuteten Einblick in die Suchtszene. 2002 war in einem Asyl an der Westerfeldstraße einem mit mehr als vier Promille betrunkenem Alkoholiker eine Heroininjektion gesetzt worden. Der Mann starb, jetzt sitzt ein früherer Mitbewohner auf der Anklagebank.

Die 4. Große Strafkammer hatte es wie erwartet am ersten Prozesstag nicht leicht, überhaupt gesicherte Erkenntnisse des Geschehens zu erhalten. Das ist bei der Aufarbeitung von Straftaten im Milieu stets eine Sisyphosarbeit, denn Alkoholschleier wirken in der Rückschau wie die finstere Nacht. Am 17. Juli 2002 soll es in dem Haus an der Westerfeldstraße schon seit dem Vormittag zu einem schweren Gelage gekommen sein. Bis zwei Stunden später, berichtete gestern der Angeklagte Peter S., habe er mit seinem Bekannten Heinz-Wilhelm M. jeweils fast einer Flasche Korn den Garaus gemacht.
Als das spätere Opfer Olaf G. (36) kam, sei ersichtlich gewesen, dass auch er an jenem Tag tief in mehrere Flaschen geschaut habe. Olaf G. habe dann für sich im Beisein der Bekannten Heroin präpariert und selbst auf eine Spritze gezogen. Allerdings sei der Mann nicht mehr fähig gewesen, sich den »Schuss« selbst zu setzen. Also nahm Peter S. die Spritze und drückte dem Mann das Gift in die Vene.
Nur wenige Sekunden darauf kollabierte Olaf G. Gemeinsam bugsierten die Mitbewohner den Mann unter eine kalte Dusche, Peter S. spritzte ihm mehrmals Kochsalzlösung. Vergebens. Olaf G. erlitt nach Ansicht von Rechtsmedizinern eine Lungenlähmung und verstarb. Ursächlich für den Tod soll die katastrophale Mixtur von Alkohol und Heroin gewesen sein: In der Leiche waren denn auch 4,15 Promille Blutalkohol gespeichert.
Der Angeklagte, dem zudem der Handel mit Haschisch vorgeworfen wird, gab gestern das äußere Geschehen zu. Allerdings will auch er so betrunken gewesen sein, dass er nach Ansicht eines Richters zur Tatzeit selbst 3,5 Promille gehabt haben müsse. Juristische Klippe vor der Verurteilung des Mannes könnte die Frage sein, ob ihm der körperliche Zustand des späteren Opfers bewusst gewesen ist. Überdies stellt sich die Frage, ob jemand für eine Körperverletzung angesichts der vorherigen Einwilligung des Opfers bestraft werden kann.
Dass in der Suchtszene nach bürgerlichen Maßstäben schier unbegreifliche Zustände herrschen, machte gestern letztlich der Zeuge Heinz-Wilhelm M. deutlich. Der angeblich aus Furcht vor dem Angeklagten an einen unbekannten Ort abgetauchte Mann erklärte den Juristen nicht nur, Alkohol sei »mein Leben«. Mehr noch: Seine tägliche Ration bestehe aus »sieben Flaschen Korn zu 0,7 Liter« (bei 62 Kilogramm Körpergewicht), »und dann fahre ich noch Mofa«. Allein vor dem Auftreten vor Gericht habe er einen halben Liter Korn getrunken, um überhaupt aussagefähig zu sein.
Wenngleich das Gericht auf weitere Auskünfte des Mannes verzichtete, so dürfte der Grad der Wahrheit wohl bei geringen Abstrichen erreicht sein.
Für den Angeklagten, der noch nie in seinem Leben eine Alkoholtherapie absolvierte (»Mir geht`s ganz gut, ich brauch das nicht«), droht angesichts seiner massiven Mehrfachabhängigkeit zumindest die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Ob ihm die Verantwortung am Tod des Olaf G. nachgewiesen werden kann, dürfte zweifelhaft sein.

Artikel vom 19.01.2005