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Gestorben wird auch -
aber eher aus Versehen

Am Sonntag hat Tschechows »Platonow« Premiere

Bielefeld (WB/mzh). Anton Tschechow drückte noch die Schulbank, da hatte er schon sein erstes Bühnenstück geschrieben: »Platonow« (um 1880), das an diesem Sonntag, 19.30 Uhr, im TAM Premiere hat. Regie führt Michael Heicks - es ist die erste Inszenierung, die er in seiner Eigenschaft als Intendant verantwortet.

Tschechow (1860-1904), der in Theaterdingen völlig unerfahrene Sohn eines kleinen Kaufmanns konnte die Wirkung der Szenen seines Erstlings noch gar nicht richtig einschätzen, aber was den Text des analytischen Beobachters auszeichnet, ist die stimmige Zeichnung seiner Figuren.
Im »Platonow« (Bielefelder Inszenierung) sind das 16 Leute, die in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs ein Fest feiern. Tschechow zeigt ein Russland, dass in eine neue Zukunft aufgebrochen, dort aber noch nicht angekommen ist - entsprechend unsicher reagieren die Festgäste. Mittendrin die Titelfigur, »ein magnetisches Zentrum, ein Katalysator der Handlung«, wie Heicks ihn charakterisiert.
Und der Held muss sterben. »Aber gestorben wird bei Tschechow ja nie so ganz vorsätzlich - eher aus Versehen«, meint Heicks und kündigt an, dass er sich am Ende dieser temporeichen Tragikomödie in eine überraschend auftauchende (im Original nicht vorgesehene) Kurve legen will, was Platonows Tod angeht.
Befürchtungen, dass Bielefelds neuer Intendant dem erst 1959 in Mailand uraufgeführten Stück ein fremdes Konzept überstülpt, muss man, wenn man Heicks kennt, nicht hegen. Der »Platonow« wird modernisiert und, wo nötig, gekürzt, aber er bleibt ein echter Tschechow.
Und was teilt uns ein Stück über die Umwälzungen der späten Zarenzeit mit? »Die Verhältnisse in Putins Russland sind ähnlich - wieder wissen die Menschen nicht, wohin die Reise geht, wieder gibt es überraschende Gewinner und unvorhergesehene Verlierer«, erklärt Heicks, der den Blick allerdings auch auf deutsche Verhältnisse lenken will. »Nicht dass wir hier solche chaotischen Zustände hätten, wie ich sie persönlich in Moskau beobachten konnte, aber auch unsere Gesellschaft befindet sich im Umbruch.« Tschechows Erstling eigne sich deshalb gut für das Motto über der laufenden Spielzeit, die den »Abschied vom Goldenen Zeitalter« in (Bühnen-) Bilder kleidet.
Als die letzte Pulle Wodka geleert ist, sind die Gäste fertig, nervlich mehr als körperlich. Die sechsköpfige Kapelle (in der mit Ines Buchmann und Mathias Reiter zwei Schauspieler stehen, die auch auf der Bühne zu sehen sind) packt die Instrumente ein, und alle gehen - nach Hause, in eine ungewisse Zukunft, in den Tod. Aber über das tragische Moment erhebt sich die Komik: Michael Heicks verspricht eine kurzweilige Inszenierung.

Artikel vom 22.01.2005